Von Toulouse nach Agde
Jean hatte die Idee, die Tour in diesem Jahr von Toulouse zum Meer zu fahren, so erfolgte die Anreise nach Toulouse bzw. nach Villefranche-de-Laurage, und der Start der Tour von dort aus. Am Montag den 9. Mai war das Ziel der ersten Etappe Port Lauragais, Autobahnraststätte und Kanalhafen mit einem schönen Hotel, in dem Jean Zimmer für uns reserviert hatte. Nach dem Abendessen hatten wir Zeit uns mit der Entstehung und Geschichte des Kanals zu befassen. Der Canal du Midi, der seit 1996 zum Weltkulturerbe zählt, ist ein Gesamtkunstwerk, das zunächst den Kanal selbst umfasst, aber auch zahlreiche Konstruktionen und Bauwerke in seiner unmittelbaren Umgebung, die seiner Nutzung und Wartung dienen. Der heutige Kanal ist das Werk von Pierre-Paul Riquet, Baron von Bonrepos (1604 – 1680), dem es gelang dieses Projekt auf eigene Kosten durchzuführen. Riquet erkannte, dass der höchst gelegene Bereich des Projekts an der Wasserscheide an der Schwelle von Naurouze lag. Hier musste er den Kanal mit Wasser versorgen. Er untersuchte diese Stelle genau und fand eine Quelle, die Fontaine de la Grave. Da die Quelle nicht ausreichte, musste er zusätzlich dafür sorgen, dass genügend Wasser in den Kanal gelangen konnte. Da es in der Nähe keine weiteren Quellen gab, wurden die Wasser der „Montagne Noire“ über weite Wege in Zuleitungskanälen (Rigole) dem Kanal zugeführt. Mit Hilfe eines Brunnenbauers fasste er die Flüsschen Alzeau, Bernasonne, Lampy und Sor in der „Rigole de la montagne“ zusammen und leitete sie in den Stausee von Saint-Verréol. Von dort läuft das Wasser über den „Rigole de la plaine“ zur Schwelle von Naurouze. Mit Schleusen wurde das Ablaufen des Wassers an beiden Abhängen verhindert. 1666 wurde Riquet die Genehmigung zum Bau erteilt. Vierzehn Jahre lang waren bis zu 12.000 Arbeiter am Werk. Riquet brachte ein Drittel der Gesamtausgaben – über fünf Millionen Pfund – für dieses Titanwerk selbst auf, über teure Kredite und indem er die Mitgift seiner Töchter opferte. Er starb 1680 völlig erschöpft sechs Monate vor der Einweihung des Kanals. Der 240 km lange Kanal beginnt in Toulouse und mündet in den „See von Thau“ am Hafen von Les Onglous. 91 Schleusen sind für 300 Millionen m3 Wasser notwendig. Die längste Staustrecke ist 54 km lang und verläuft zwischen Argens-Minervois und Béziers. Auf der gesamten Länge ist der Canal du Midi von Bäumen gesäumt, die ihm sein charakteristisches Aussehen verleihen und die Schatten für die Leinenzieher spenden sollten. Gleichzeitig verdunstet durch den Schatten weniger Wasser. Bevorzugt wurden Bäume mit schnellem Wachstum, wie Pappeln oder Platanen, vereinzelt auch Seekiefern. Dadurch wurden in der Umgebung von Bauwerken und besonderen Konstruktionen manchmal wahre Promenaden geschaffen. So ist um das Becken von Naurouze beispielsweise ein reizvolles Arboretum mit einer großen Artenvielfalt entstanden. Auf einer Anhöhe in der Nähe wurde ein Obelisk zum Andenken an Pierre-Paul Riquet aufgestellt. Am Dienstag den 10. Mai radelten wir weiter am Kanal entlang bis zur Schwelle von Naurouze. Hier verließen wir den Kanal, fanden den Weg am „Rigole de la plaine“, der uns zum Stausee von Saint-Verréol führen sollte. Der Zuleitungskanal, somit auch der Weg nach Revel und Saint-Verréol, ist etwa 50 km lang und steigt stetig mit etwa 3% an. Der Weg ist naturbelassen, aber befahrbar. So hatten wir wenig Mühe, unser Ziel zu erreichen. Von Revel bis Saint-Verréol, wo Jean für uns Quartier gemacht hatte, kamen wir zum Abschluss noch einmal kräftig ins Schwitzen. Der Schlussanstieg war der gleiche wie bei der Tour de France zwei Monate später. Das Hotel lag unweit des Stausees. Nach einem guten Abendessen hatten wir eine ruhige Nacht, und konnten so am nächsten Tag unser Etappenziel Carcassonne, etwa 50 km entfernt, in Angriff nehmen. Nach einer längeren Abfahrt über Saint Papoul erreichten wir bei Villepinte wieder den Canal du Midi. Gestärkt durch ein ausgiebiges Mittags-Picknick am Kanal hatten wir wenig Mühe den Rest der Strecke nach Carcassonne zurück zu legen. Carcassonne zählt seit 1997 zum Weltkulturerbe und liegt auf einem Felsenhügel inmitten der Weinebene, hinter der sich die kargen Berge der Corbières erheben. Jeder Ankömmling ist unweigerlich durch die markante Silhouette der Festungsstadt beeindruckt. Nachdem wir unser Hotel erreicht hatten, begaben wir uns auf Erkundungstour durch die Stadt und zur herrlichen, im 19. Jahrhundert von dem Architekturhistoriker Viollet-le-Duc restaurierten Festung. In der zu Füßen der Festung liegenden Unterstadt, am linken Ufer der Aude, befindet sich das große Handelszentrum des vom Weinbau geprägten Departement Aude. Nach einem Rundgang durch die Festung nahmen wir unser Abendessen bei „Chéz Fred“, einem Spezialitätenrestaurant in der Nähe des, Bahnhofs, ein. Am Donnerstag änderte sich das Wetter und plötzlich blies uns der Wind um die Nase. Trotzdem radelten wir unverdrossen dem etwa 60 km entfernten Lezignan-Corbières entgegen, auf halber Strecke zwischen Carcassonne und dem Meer, zwischen dem Aude-Tal, dem Kanal und dem Flüsschen Orbieu. Weinbau und Handel mit Corbières-Weinen sind die Haupterwerbsquellen des belebten Städtchens. Unser Hotel liegt sehr zentral, direkt an der Bahnlinie und am Kreuzungspunkt zweier stark befahrener Straßen. Höhepunkt war abends ein köstliches mehrgängiges Menü mit der Option des freien Verzehrs von Corbières-Weinen, die wir auch voll nutzten. Am Freitag den 13. Mai setzten wir nach einem guten Frühstück unsere Reise am Canal du Midi zum 60 km entfernten Tagesziel, Bèzies bzw. Villeneuve -lès- Bèzies, fort. In Capestang, einem Städtchen am Kanal, wurde gerastet. Dann radelten wir zum Malpas-Tunnel. Hier wird der Kanal durch einen Tunnel geführt. Gleichzeitig verläuft eine Etage tiefer eine Bahnlinie. Später erreichten wir auf einem Radweg, der unvermittelt auf einer Strecke von ca. 500 m unter Wasser stand, die Schleusen von Fonséranes. Hier bilden acht aufeinander folgende Schleusen eine Treppe, die einen Höhenunterschied von 25 m überbrückt. Wir konnten eine Gruppe von Bootstouristen beobachten, die mit ihren Booten von erfahrenen Schleusenwärtern in die nächste Schleusenkammer gelotst wurden. Auf unserem Weg kamen wir an einer weiteren Attraktion, einer Kanalbrücke über den Fluss Orb, vorbei und weiter nach Bèzies, der Hauptstadt des languedozischen Weinhandels und Heimatstadt von Pierre-Paul Riquet. Sie liegt auf einem steil über dem linken Ufer des Orb aufragenden Plateau. Nach einem kurzen Abstecher in Bèzies radelten wir auf einen gut ausgebauten Radweg entlang des Kanals nach Villeneuve-lès- Bèzies. Das Hotel, in dem für uns Zimmer reserviert waren, hatte zwar gerade den Besitzer gewechselt, wir waren aber trotzdem Willkommen. Unser Abendessen nahmen wir in einer gut geführten Pizzeria ein. In der Nacht gab es ergiebige Regenschauer. Aber nach dem Frühstück kam schon die Sonne hervor. Wir hatten plötzlich wieder schönes Wetter und auf der Weiterfahrt sogar Rückenwind. Unterwegs besichtigten wir ein Kanalschutzwerk, das den Kanal vor plötzlich im Fluss Libron auftretendem Hochwasser und den mitgeführten großen Mengen Sand schützen sollte. Bei Hochwasser im Libron wurde der Kanal an beiden Seiten durch Schleusentore gestaut und der seitliche Durchfluss des Libron durch Öffnen von Klappen frei gegeben. Da in diesem Fall der Verkehr im Kanal gestoppt werden musste, suchte man nach einer anderen Lösung. Im Jahr 1858 wurde das Bett des Libron zweigeteilt und ein Flussteil über Schleusen so arrangiert, dass bei Hochwasser der Libron direkt ins Meer geleitet wird. Bei Niedrigwasser wird der Libron unter dem Kanal durchgeführt. Das Kanalschutzwerk wird heute zur Durchfahrt benutzt. Nun war es nicht mehr weit bis nach Agde, wo wir uns noch eine Rundschleuse als Verbindung zu anderen Wasserwegen ansehen konnten. Mit einer Rast und einer Einkehr zu einem Panaché überbrückten wir die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges nach Avignon. Dort angekommen, radelten wir noch die letzten fünf Kilometer nach Rognonas zu unserem Hotel, dem Domizil für die nächsten Tage in der Provence. Klaus Konrad |