Fern-Reise
Ein leichtes Rad ist Grundvoraussetzung. Mein Hercules Ventana ist aus Alu und hat gefügige 27 Gänge, da bin ich im Vorteil. Der beste aller Ehemänner mit seinem 22-kg-Liegerad (unbeladen) hat schließlich mehr Muskeln zum Beschäftigen, und mit Werkzeug kann er auch besser umgehen als ich, so gehört’s auch in seine Taschen. Leichtes Gepäck, wasserdichte Textil-Packtaschen, Funktionsklamotten, Zipp-Hose ... erstaunlich, wie viel „wenig“ kostet. Sei’s drum, eine Tube REI ersetzt gute 5 kg Wäscheballast. Wohin soll’s gehen? Als Bergziege habe ich mich bisher nicht gerade bewährt, meine Ausdauer bezieht sich eher aufs Genussradeln. Es gibt doch so viele Talwege, auf denen man die Leichtigkeit des Radelns üben kann. Wenn dann noch ein paar Tage Wellness winken, dann kann frau sich schon mal was zutrauen. Auf Karten 1:20.000 sind keine Radwege eingezeichnet, auf 1:75.000 sind welche (?!!) drauf, schon sind wieder 40 _ weg. Also, erst mal einige Quartiere per Bett&Bike und Internet gesucht, der Rest wird sich finden, wenn mir die Strecke freundlich gesonnen ist. Der Mut kommt mit dem Radeln. Gleich in Schmitten beginnt der Weiltal-Radweg. Davor ist aber der Taunuskamm zu überwinden; ein erfahrener Tourentreter hat Mitleid und gibt mir Tipps. Per U-Bahn zur Hohemark, mit dem Weiltalbus bis Schmitten, und schon beginnt der Weil„tal“-Radweg. Schon im Internet kündigt sich dieser Weg mit erstaunlicher Höhendifferenz an. Naiv wie ich war, nahm ich an, dass eben von der Quelle bis zur Mündung ein deutliches Gefälle sein muss, na das passt doch! – Frohgemut dem wunderschönen Wiesenweg gefolgt, aber da müssen wir uns schon bald verfahren haben: Es ging streng bergauf, und von der Weil kein bisschen Gluckern mehr. Die Karte gibt eher sibyllinische Auskünfte. Da kommt eine Kreuzung, laut Karte geht’s da nach rechts. Die fast durchgehend perfekt vorhandene Wegweisung zeigt aber bergauf! Bei der Hitze steil hinauf – das muss ein Irrtum sein! Der Beste mit dem beladenen 30-kg-Rad strampelt unverdrossen hoch, ich hinterher. Der Schatten spendet wenig Trost, es geht maßlos bergauf und bergab. Eine geschotterte Strecke mit ca. 15% Gefälle ist für Fahrräder als lebensgefährlich markiert (erspart der Gemeinde die Haftung), zum Glück trocken und bergab; vorsichtig radeln wir sowieso fast immer. Gegen Ende der Etappe noch ein paar Weiltal-Kilometer, die sich genau so fahren wie ich’s mir dachte – wie Butter, durch lichten Laubwald; auf einer ehemaligen Bahntrasse. Weilburg ist eher nicht fürs Fahrrad gebaut. Ein steiler Hügel, von der Lahn umrundet, und das Wichtigste liegt hoch oben drauf: Schloss, Innenstadt und Kneipen. Am späten Nachmittag brennt die Sonne unbarmherzig über den schwitzenden Radlern, im kleinsten Gang schaffe ich auch diese Ungerechtigkeit. Das Hotel „mit Lahnblick“ bekommt seine idyllische Lage gerade mit einer Umgehungsstraße verbaut. Was interessiert der einzige Schiffstunnel Deutschlands und ein Märchenschloss hoch auf dem Fels über’m Fluss, wenn Autos Platz brauchen? Die italienische Kneipe im schattigen Höfchen entschädigt für die Unbill des Tages.
Wildpark und Kubacher Höhle
Auch zur Kubacher Höhle geht’s ziemlich bergan, und das bei Temperaturen von 34°C. 347 Stufen weiter unten sind es noch 9° – die gleiche Stufenzahl wieder hoch, und schon sind’s 35°. Herzkranke sollten sich das nicht antun. Aber die Höhle muss man besuchen
Wo die Kelten hausten
Weiter folgen wir einem gut ausgebauten Radweg und unserem Orientierungssinn. Die Karte hat uns oft genug getäuscht. Die Sonne dörrt am Nachmittag das Hirn unter der Mütze. Es geht mehr bergauf als angesagt, in der Gegend kennen wir nur die Himmelsrichtungen ziemlich genau. In den Flaschen lauwarmes Trinkwasser. Der Dünsbergturm reckt sich halbrechts hinter einem Bergrücken. Links liegt das Dörfchen Königsberg, da muss es eine Kneipe geben und kühles Radler – vielleicht sogar was zu essen? Die 2 km dorthin sind so weit wie zu einer Fata Morgana, und immer bergauf!
Von der kleinen, privat bewohnten Königsburg sieht man den Dünsberg wie gemalt. Irgendwo an dessen Fuß liegt das gebuchte Hotel Zum Keltentor. Nur noch ein oder zwei Berge und Täler ... die einzige Kneipe Königsbergs ist geschlossen, der liebste aller Radler findet einen Tante-Emma-Laden mit Flaschen-Limo und ein bisschen ältlichem Obst. Während dessen kippe ich mir das lauwarme Wasser über Nacken und Beine wie Jan Ullrich auf dem Pic Majeur. Kein Mensch auf der Gass’, nur einer hämmert versteckt in einer Baustelle ununterbrochen mit dem Pressluftgerät. Wer hätte gedacht, dass wir an diesem Tag noch bis Ostpreussen kommen?
Für die Keltenausgrabungen auf dem Dünsberg nehmen wir uns einen geruhsamen Tag, an dem die Räder in der Hotelgarage bleiben. Auf diesem Berg haben ein paar Tausend Kelten Jahrhunderte lang in geordneter Zivilisation gelebt; die Zeugnisse graben Ehrenamtliche jeden Alters und ein internationales Häuflein wissenschaftlichen Nachwuchses mit Akribie aus dem Boden. Das Frankfurter Denkmalamt hat einen Kleintransporter hingeschickt. Seit ich den Glauburger Keltenfürsten in der Schirn gesehen habe, weiß ich, dass Kultur nicht erst von Elefanten huckepack über die Alpen nach Germanien geschleppt wurde. Unsere Vorfahren hausten keineswegs in Höhlen; Bärenfell und Keule gehörten nicht zum Alltagsgewand der Kelten. Sie wurden von den Römern erst besiegt, als ihre Gesellschaft schon den Zenit überschritten hatte. Dieses Schicksal teilten sie mit den meisten Hochkulturen der Geschichte.
Katzensprung nach Bad Salzhausen
Wir benutzen nur schmale Radwege. So finden wir uns schon mal nach unnötigem Anstieg in Sichtweite einer vor 30 Minuten passierten Kreuzung wieder. Mal stimmt meine Karte, mal sein Orientierungssinn – und umgekehrt. Also, dann nimm eben Du mal die Karte! Hier im Gelände aufeinander angewiesen, belassen wir’s beim Knurren. Bei 35 Grad im Schatten und mittelhessischer Topografie wird man sowieso einsilbig.
wird fortgesetzt
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12. November 2003 ADFC Frankfurt am Main e. V. |