Ein fast perfekter Fahrradkauf
Das alte Rad fährt noch, aber wie! Es klappert und murrt und die Bremsen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Kurzum, es ruft nach Ruhestand und also muss ein neues Rad her. Eines, das fährt und fährt und fährt. Alltagstauglich soll es sein und mich bei Wind und Wetter nicht im Stich lassen. Also am besten ein noch ungebrauchtes Rad, ein richtiges Marken-Fahrzeug von einem Händler mit tadellosem ADFC-Ruf. Die Jahreszeit ist günstig. Es ist Dezember, da ist Zeit für Beratung. Die Sache gestaltet sich erst nicht ganz einfach. Ich bin groß und nicht jeder hat Räder für lange Beine. Aber dann, sieh da: Da steht es, ein nagelneues Rad einer Marke aus unserem rennradbegeisterten Nachbarland, groß, schlank, gut gebaut, sogar mit Nabendynamo. Die Farbe ist nicht unbedingt das, was ich suchte. Aber: Nothing is perfect. Also zugeschlagen, du bist mein! Die ersten Wochen vergehen im Hochgefühl. Welch ein Genuss Radfahren doch sein kann! Doch dann die ersten Wermutstropfen: Beim „Härtetest“ einer kleinen Radtour bricht die Halterung der Lampe und die luxuriöse Federung des Sattels macht nicht mehr mit. Nun, der freundliche Fahrradhändler richtet es. Doch wenig später reißt der eine Schaltzug und das Gewinde einer Mutter ist hinüber. Der freundliche Radhändler ist nicht mehr ganz so freundlich und spricht von Verschleiß. Nun ja, mein altes Rad brauchte in seinem 12-jährigen aktiven Leben genau einen neuen Schaltzug und jetzt soll nach einem halben Jahr schon der Zahn der Zeit zugeschlagen haben? Aber da auch ich ein freundlicher Mensch bin, nehme ich es hin und bastele. Wieder zwei Monate später leidet das Rad unter Hinfälligkeit im Stillstand, denn die Halterung des Ständers hat sich verzogen. Der freundliche Fahrradhändler kennt mich mittlerweile schon gut und behebt das Leiden. Während derartiger Kurierungen wird mein altes Rad immer ausgemottet und tut klaglos seinen Dienst. Frühjahrsputz: Ich liebe meine Räder und pflege sie (meistens jedenfalls). Doch ach, was muss ich feststellen, die hintere Felge verzieren mehrere Risse! Der freundliche Fahrradhändler weicht mir aus, als hätte ich den bösen Blick und besteht auf Verschleiß. Ich bestehe auf Murks am Rad und verweise auf den Hersteller, der ja auch freundlich sein könnte. Und tatsächlich, er ist es und 14 Tage später habe ich eine neue, stabilere Felge am Rad. Wie schön ist doch Radfahren im Frühling, wenn die Sonne lacht. Doch mein Rad scheint mich auszulachen, neulich fiel ein Teil des Schalthebels auf die Straße. Beim Sortieren der Teile fällt auf, dass das Ganze an einem ausgeschlagenen Gewinde hing. Diese Schraube musste ich bisher noch nie lösen oder festziehen, aber im Geiste sehe ich schon meinen freundlichen Radhändler mit stierem Blick und Schaum vorm Mund „Verschleiß, Verschleiß!“ ausrufen. Oh Ihr Fahrrad-Götter, womit habt Ihr mich geschlagen? Ich wähnte mich ein Rad nach allen Regeln der Kunst gekauft zu haben und nun plage ich mich mit einer der großen Fragen der Menschheit: Warum kann etwas, das fast perfekt wirkte, sich in den Abgründen der Realität als derart unvollkommen herausstellen? Regine Müller |
8. Mai 2003 ADFC Frankfurt am Main e. V. |