Vom Alpenrand in die Provence
Eine Fahrradreise von Saint Marcellin nach Arles, Teil 2
alle Fotos: Jürgen Johann
Do 16.05.02 /
51 km + 1535 Höhenmeter
Maulaucène liegt auf 377 m Höhe, heute besteigen wir den Mont Ventoux (1912 m). Das Wetter könnte besser nicht sein. Warm, aber nicht zu heiß. In der Höhe wird es merklich kühler. Die Auffahrt ist ca. 21 km lang bei einer mittleren Steigung von 7,5 %, wir benötigen rund vier Stunden dafür. Der Weg lohnt sich, es gibt herrliche Ausblicke bis hin zum Montblanc, dem „Dach Europas“. Oben ist es recht frisch und zugig. Wie an vielen touristischen Orten gibt es auch hier überteuerte Gastronomie und kitschige Andenken. Zurück geht es auf gleichem Weg wie hin, da wir am morgigen Tag schon einen Teil der Alternative (Rundtour um den Mont Ventoux) fahren werden – zumal diese Strecke auch anstrengender ist.
Fr. 17.05.02 / 63 km
Von Maulaucène aus ging es über den Col de La Madeleine nach Bedoin und weiter nach Mormoiron. Auf einer überaus schönen Straße, die anfangs durch eine Schlucht führt, ging es über den Col de Mus nach Garage. Dort fanden wir Quartier in einem Chambre d'hôte der besonderen Art. Zunächst erfrischten wir uns im Swimming-Pool. Am Abend saßen wir in großer Runde zu Tisch , und der Chef hielt uns zu jedem Menüteil sehr detaillierte Vorträge zum Essen allgemein und zum Menü konkret.
Sa. 18.05.02 / 50 km
Leider machten uns die Pfingstfeiertage einen Strich durch die ursprüngliche Planung, den Lubéron systematisch zu „erfahren“. Die dafür in Frage kommenden Gîtes sind entweder komplett belegt oder nehmen nur Gruppen auf. Bei Chambre d'Hôtes haben wir auch kein Glück, diese sind ebenfalls entweder belegt oder überteuert.
So machen wir uns auf den Weg von Gargas zunächst nach Apt. Dort ist heute Markt, wir merken es am hohen Verkehrsaufkommen. Die Altstadt ist recht nett, bis man erst einmal dorthin kommt, ist weniger angenehm.
Dafür werden wir auf der Weiterfahrt entschädigt. Auf einer echten Panoramastraße geht es aufwärts nach Bonnieux. Diese kleine Stadt wirkt regelrecht verlassen, der Bäcker Henri hat Mittagspause, die Leute scheinen alle in Apt zu sein. Zum Überdruss beginnt es auch noch zu regnen. Wir versuchen, abzuwettern, aber irgendwann fahren wir doch los – es hätte keinen Sinn gemacht, noch länger zu warten. Die Abfahrt von Bonnieux ist eine landschaftlich wunderschöne Strecke, leider war es halt etwas feucht. In Lurmarin machten wir einen kurzen Halt, ich peilte die Lage für einen Einkauf, denn am nächsten Tag sollte uns der Weg wieder hier durchführen.
Weiter ging es nach Mérindol, anfangs auf und ab auf einer Seitenstraße, am Ende dann ein Stück auf einer Hauptstraße. Das dortige Quartier war ganz ordentlich, alles neu und z.T. noch nicht ganz fertig. Schwimmbad gab es zwar, aber es ist zu kühl dafür. Auch das Abendessen war in Ordnung, aber kein Vergleich mit dem bis dahin besten Essen in Gargaz. Dafür sorgte auch das überaus anheimelnde Ambiente: Wir saßen isoliert in Mérindol in einer Mischung aus Partyraum und Garage, hatten dafür aber immerhin die Räder im Blick.
Sonntag 19.05.02 / 45 km
Heute führt uns der Weg zunächst wieder nach Lourmarin. In strahlendem Sonnenschein wirkt das Dorf so viel freundlicher. Ich kaufe noch „eine Bombe“ (1,5 l Flasche Orangina light) und eine Geburtstagsüberraschung. Ab sofort heißt es daher für mich, besonders vorsichtig zu fahren. Weiter geht es über Cucuron zum Etang de la Bonde. Dort legen wir eine Schwimm- und Badepause ein.
Von dort bis zu unserem nächsten Quartier bei Grembois ist es nicht mehr weit. Die Wirtsleute im dortigen Gîte sind meiner Ansicht nach echte Freaks, die vieles (Tabenade, Brot, Wein , Confitüre, etc.) selbst machen. Das Quartier selbst ist eher einfach, dafür ist das Essen wahrhaft fürstlich. Auch hier sitzen wir in großer Runde am Tisch. Gegen Abend gibt es dann die (mit der Wirtin zuvor abgesprochene) Überraschung: Eine Flasche Champagner für zwei. Quelle surprise... Das Ganze wurde von der Wirtin mit Spezialkerzen nett angerichtet.
Montag 20.05.02 / 45 km
Von Grembois geht es über La Bastide in die nette Stadt Manosque. Wir kommen noch so rechtzeitig an, dass wir für die Mittagspause eine Kleinigkeit im Casino einkaufen können. Von Manosque geht es weiter über einen ewig langen und nicht sonderlich schön zu fahrenden Höhenrücken nach Gréoux lès Bains, einem Kurort, wie man sich solche Orte vorstellt. Wir halten uns nicht lange auf, sondern ziehen weiter in Richtung Esparron de Verdon. Die Fahrt dorthin ist nicht ganz einfach, es steigt in der prallen Sonne ziemlich kräftig an. Dafür werden wir von der Landschaft entschädigt. Das dortige Chambre d'hôte ist ganz okay, wir haben noch genügend Zeit, zum See zu gehen. Der Hinweg ist leicht zu finden, der Weg zurück weniger. Wir stiefeln unbeabsichtigt über einen „privaten Nudisten Camping Club“ und gelangen über Umwege zurück ans Quartier Das Essen nehmen wir im Freien zu uns, es ist ausgezeichnet. Die Chefin ist auffallend aufgeklärt und offen, sogar auch für vegane Küche. Überdies ist sie eine Meisterin ihres Fachs.
Dienstag 21.05.02 / 65 km
Mehr oder weniger gestärkt von einem schlechten Frühstück machen wir uns auf den Weg. Wir kommen wieder durch Gréoux lès Bains und rollen über Saint Julien und Rians nach Peyrolles en Provence. Da wir den dortigen Chambre d'hôte erst ab Spätnachmittag erreichen können, nutzen wir die Zeit an einem zum Badegewässer umfunktionierten ehemaligen Baggersee.
Am Quartier begrüßt uns zunächst überschwenglich Oscar. Die Wirtin ist sehr herzlich und die Zimmer sind sehr schön. Einen Schock für mich persönlich gibt die Konfrontation mit ihrem Mann. Er wurde durch einen Medizinerfehler krank gemacht. Durch Spritzen eines falschen Kontrastmittels bei einer Routineuntersuchung wurde das Gehirn beschädigt. Wir wissen nicht, wer uns mehr leidtun soll, er oder seine Frau.
Sie gibt uns für das Abendessen den guten Tip zweier Pizzerien. Andere Restaurants gibt es in diesem Dorf nicht – wir befinden uns schon nahe dem Einzugsgebiet von Aix en Provence, vielleicht ist das der Grund. Beide Pizzerien sind nahe beieinander, die erste hat zu, in der zweiten werden unsere geringen Erwartungen (Pizzeria an einer Landstraße in einer umgebauten Tankstelle...) mehrfach übertroffen. Eine angenehme Umgebung erwartet uns. Wir sind die einzigen Gäste. Eine wahrhaft riesige Köchin serviert uns Salat mit Chèvre chaud auf Vollkornbrot und eine Pizza nach französischer Art – schlicht und einfach phantastisch.
Mi, 22.05.02 / 55 km
Von Peyrolles geht es über Le Puy nach Silvacane / La Roque. Nach einer Pause geht es weiter über Mallemort und Alleins nach Eyguières. In dieser kleinen Stadt erwartet uns ein klassischer Mas (eine ganz bestimmte, südfranzösische Bauernhausart) mit einem später hinzugekommenen Intermarché (Supermarktkette mit qualitativ recht guten Waren) auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Wir können noch bis Abends draußen sitzen bei Tarte und Wein.
Do., 23.05.02 / 70 km
Am nächsten Morgen sieht es außer dem Frühstück weniger gut aus: Es regnet in Strömen. Die freundliche Wirtin lässt uns in ihrem Wohnzimmer (ein echter Salon) abwettern und gibt uns zum Zeitvertreib einige interessante Bücher.
Der Regen lässt etwas nach, da wir noch einige Kilometer vor uns haben, brechen wir auf. Kaum aufgebrochen, lässt der Regen stark nach und hört schließlich auf. In Mourriés machen wir Mittagsstop, gerade noch vor der Mittagspause. Die Sonne kommt langsam durch: Raus aus den Gore-Klamotten. Wir nähern uns Arles. Dort machen wir eine kleine Rast und bewegen uns anschließend über die Rhone. Quer durch die nördliche Camargue bewegen wir uns unserem Ziel, Saliers zu.
Doch welche Überraschung: Der Gîte ist sehr verwahrlost, unsere Absicht, hier zwei Nächte zu bleiben, begraben wir schnell. Eine Nacht bleiben wir aber. Zum Einkauf geht es nach St. Gilles, wo wir uns erfolgreich nach einem Alternativquartier bemühen. Zum Abend gibt es wieder Tartes und Wein.
Fr., 24.05.02 / 59 km
Mit Gepäck geht es heute auf zu einer Rundfahrt um die Camargue. Wir lernen diese als flache, interessante Landschaft kennen. Die Landschaft wird als Radelparadies beschrieben. Wir haben da unsere Zweifel. Obwohl flach herrscht doch meist kräftiger Mistral, überwiegend aus NNW. Gibt es keinen Wind, hat man dafür Moskitos ohne Ende, fast wie in Schweden. Man findet kein Haus ohne Mückennetze vor dem Fenster. Picknickplätze haben wir (vielleicht deswegen) keine gesehen, dafür gibt es jede Menge überteuerte Restaurants (mit Mückennetzen vor dem Fenster). An das Meer bzw. die Etangs kommt man nur schlecht ran. Es ist nicht ratsam, den Mistral im Rücken fröhlich südwärts zu rollen, um dann 40 km gegen den Wind zurück fahrenzu müssen. Ich persönlich ziehe dann Bergpässe vor.
Unser Fazit: Die Camargue ist durchaus sehenswert, um mal quer durch zu fahren. Als Reiseziel für eine ganze Woche ist sie für Naturbeobachter zweifelos gut geeignet, weniger für Radurlaub im klassischen Sinne.
Am Abend erreichen wir wieder St. Gilles und unser neues Quartier. Der Swimmingpool lädt zum Bade. Am Abend gehen wir in ein Restaurant am Hafen, das wir schon auf der Hinfahrt bemerkt haben.
Sa., 26.05.02 / 26 km
Heute geht es zur letzten Fahrt nach Arles. Dort ist Markt. Da es keine Gepäckaufbewahrung gibt, müssen wir uns aufteilen. Das gelingt für die Zeit des sehenswerten Marktes vortrefflich in einem Bistro bei Pastis. Den Nachmittag verbummeln wir in der Stadt. Gegen Abend suchen wir ein letztes Mal ein kleines Restaurant auf und genießen das Essen draußen.
Unser Zug geht gegen Mitternacht. Wir machen uns beizeiten auf die Socken, am Bahnhof gibt es noch was zu lesen.
Die Rückfahrt verläuft trotz einer Streikwarnung der französischen Eisenbahner reibungslos. Außer uns fahren noch vier weitere Reiseradler mit: Zwei junge Damen und ein Pärchen mit Tandem. Trotz der etwas umständlichen Einladeprozedur der Tandemleute fahren wir pünklich in Arles ab und sind auch nahezu pünktlich in Strasbourg. Dort bleibt noch Zeit für einen Kaffee mit Croissant, bevor es im letzten verbliebenen Interregio von Strasbourg aus nach Hause geht, Ankunft in Frankfurt baustellenbedingt mit 30-minütiger Verspätung. Auf unserer Tour haben wir 932 unfall- und pannenfreie Kilometer zurückgelegt. Manche werden uns lange in Erinnerung bleiben. Dazu zählt die Fahrt unter dem Motto „quäl dich...“ von Leoncel nach Vassieux über drei Cols non stop bei kaltem Regen, aber natürlich auch die grandiose Fahrt zum Mont Ventoux.
Die Provence wird uns ganz sicher wiedersehen, auch wenn das Ziel für die nächste Tour ein anderes sein wird.
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