Zwei Exoten im Land von Tausend und einer Nacht
Es ist Anfang Mai. Auf vielen Feldern steht das reife Korn oder wird sogar schon geerntet. Der Asfalt ist gut bis sehr gut, ohne Schlaglöcher, höchstens 3-4 Jahre alt. Der junge marokkanische König Mohammed VI.(‘M6’) hat in seiner kurzen Amtszeit schon viel für die Infrastruktur getan. Allenthalben entstehen Neubaugebiete und die Bepflanzung trockener Gebiete mit akkurat gesetzten Reihen von Olivenbäumen ist eingeleitet.
Unter unseren dünnen langen Hosen tragen wir die Radhose und die langärmeligen Hemden schützen uns vor der heißen Sonne, abgerundet wird die Kleidung durch eine Schirmmütze mit Seidenschal über die Ohren, um Verbrennungen zu vermeiden. Wir sind bei weitem die bestvermummten Gestalten in Marokko.
Marokko ist ein Schmelztiegel von Nomadentum und Internet. Die kulturelle Bandbreite Marokkos auf engstem Raum ist beeindruckend, Szenen aus dem Alten Testament neben gutbesuchten Internetcafes, auch in kleinen Städten, die den Kontakt mit den Verwandten in Deutschland oder anderswo in Europa aufrechterhalten.
Jede Stadt in Marokko ist anders, mit unterschiedlichen Düften und Gerüchen und Flair.
Im Süden in Errachidia fahren junge Frauen Rad, oft sogar allein, während im Mittleren Atlas, im Land der Berber, ideale „Radfahrstrecken“ sind, mit dem zentralen Ort Ifrane, als Radfahrausgangspunkt, mit Kaffee, Restaurant usw. ist hier alles vorhanden, was der Radler für sein Wohl benötigt. Im letzten Jahr kurbelten sich die Radler der Tour de Maroc hier vorbei und brachten neben dem Rauschen der Zedernbäume das Surren der Ketten in den Atlas.
Das Goldene Wort: „Koch es, schäl es oder vergiss es“ haben wir nicht lange eingehalten – wir hätten zu viel von den einheimischen Leckereien verpasst, vor allem die bunten Salate. Was uns den Magen verdorben hat, war auch nichts Rohes, sondern eine offenbar aufgewärmte Tajine – oder war es doch der zweifelhafte marokkanische Wein, der uns in dem Restaurant angeboten wurde?
Nach etwa zwei Wochen und vielen Kilometern, zufrieden über die glatten Straßen von Marokko, geschieht das Unfassliche: Das Rad fliegt vor unseren entsetzten Augen, wie in Zeitlupe mit dem Bürzel zuerst und dotzt mit dumpfem Laut auf dem Hinterrad auf; die Rahmenfederung hebt es noch einmal etwa 20 cm hoch, bevor es sich auf die Seite legt. Die allgegenwärtigen Kids sind in Sekundenschnelle dort und helfen die verstreuten Sachen einsammeln. Wir, etwas langsamer, das schlimmste befürchtend, hinterher.
Wir stellen das Rad aufrecht und sind erleichtert, dass der Rahmen augenscheinlich unversehrt geblieben ist. Das Hinterrad eiert, doch ist keine Speiche gebrochen. Wir justieren die Felge notdürftig, so dass wir weiterradeln können. Im nächsten Dorf ist wie überall eine Werkstatt und wir drehen bei, um das Vorderrad zentrieren zu lassen.
Um uns die Wartezeit zu verschönern, bekommen wir The a la Menthe angeboten, starken grünen Tee mit frischen Minzblättern und zahnschmelzsprengend viel Zucker, im ganzen Land als „Berber-Whisky“ bekannt. Es ist keine Übertreibung, die Zuckermenge haut einen glatt um und nur der Geschmack der Minze lässt dich wieder aufstehen.
Während der 3 Stunden in der Werkstatt fahren 6 Reiseradler/ innen an uns vorbei – kurios, da wir bis dahin gar keine Radtouris zu Gesicht bekommen haben. Ein Radler aus Australien hält an, der schon viele Male Europa per Rad bereist hat und nun Marokko kennen lernen möchte. Ein Anderer ist schon von ferne an den typischen leuchtendroten Packtaschen als Deutscher erkennbar. Zwei haben erstaunliche flache Anhänger hintendran – Holländer?
Für die Arbeit des Mechanikers zahlen wir 30 Dirham – 3 Euro.
Mehr zu Marokko im Diavortrag am Radreisemarkt
Lothar Hennemuth und Birgit Semle