Elsaß,
das romantische?
Ja, bei 37°C im Schatten
Doch
das konnten die 17 Teilnehmer einschließlich Christian, dem
Tourenleiter, bei ihrer Abfahrt am Sonntag, dem 19. August noch
nicht ahnen. Am Frankfurter Hauptbahnhof trafen wir uns und stellten
fest: um viele neue Leute kennen zu lernen, ist diese Tour ungeeignet.
Also stürzten sich Alle auf Erdal, den einzigen "Neuen",
der von Anfang an durch seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft
beeindruckte.
Über die Fahrt mit der Bahn ist nichts zu berichten. Lediglich
zwischen zwei Happen aus dem Reiseproviant dachte wohl der Eine
oder die Andere daran, wie lange Herr Mehdorn uns diesen InterRegio
noch anbieten wird. In Offenburg begann unsere Radtour, die uns
über Kehl nach Strasbourg führte. Durch eine Baustelle
suchten und fanden wir den Radweg entlang des Canal de la Bruche.
Der führte uns vorbei an abwechselungsreicher Landschaft und
schönen Schleusenwärter-Häuschen bis kurz vor Molsheim.
Nach Besichtigung der ältesten Kirche des Elsaß, dem
Dompeter mit der davor wachsenden fast ebenso alten Linde, fuhren
wir auf einer zum Radweg ausgebauten Bahntrasse nach Molsheim. Unser
Hotel lag ideal in einer kleinen Straße, die direkt auf den
Rathausplatz führte. Der Platz hat die Grundfläche eines
Tortenstückes und kann als die gute Stube Molsheims bezeichnet
werden. Von hier aus starteten wir in den folgenden Tagen unsere
Touren. Nach Belegung der Zimmer wurden wir in einem nahe gelegenen
Gasthaus zum Flammkuchen essen erwartet. Madelaine, unsere Co-Tourenleiterin,
hatte erreicht, dass für die Vegetarier eine fleischlose Version
dieser Spezialität angeboten wurde, die dem Original in nichts
nachstand.
Französische Frühstücksgewohnheiten stimmen nicht
mit denen von Radtouristen überein. Also hatte Madelaine schon
bei Reservierung des Hotels ein reichhaltiges Frühstück
gebucht. Außerdem war mit dem Hotel vereinbart, dass abends
ein vegetarisches Essen angeboten werden sollte. Nicht auszudenken,
was geschehen wäre, wenn Madelaine nicht so vorausschauend
gehandelt hätte. Der Montag begann mit einem reichhaltigen
Frühstück. Danach hatte Christian zum Eingewöhnen
eine Tour durch das leicht hügelige Vogesenvorland nach Schirmeck
vorgesehen. Dort angekommen und nach einer Mittagsrast erlebten
wir etwas, das man Zellteilung nennen könnte und das sich an
den folgenden Tagen wiederholen sollte. Nach der Zwei-, Drei-, Rest-Methode
teilte sich die Gruppe. Kamilla und Rolf fuhren kulturinteressiert
gemütlich nach Molsheim zurück. Annette, Erdal und Thomas
nahmen sich etwa 100 km auf Pass-Straßen durch die Vogesen
vor. Und der Rest quälte sich eine ca. 8 km lange, extrem steile
Straße bis zum KZ Camp du Struthof hinauf. Das von den Nationalsozialisten
angelegte Arbeits- und Vernichtungslager beeindruckte durch seine
schöne Lage, die in krassem Gegensatz zu dem einstigen Zweck
des Lagers steht. Von hier aus konnte der Blick über die Vogesen
schweifen und sich an den bewaldeten Berghängen verlieren.
Ein Blick rückwärts zur Bergkuppe mit dem Mahnmal ließ
uns aber schnell die Realität des Wetters erkennen. Da half
keine Eile mehr: die Abfahrt fand im Regen statt, was angesichts
der Vorfreude auf eine rasante Kurvenfahrt bedauerlich war.
Warum ich bei der Zimmerbelegung bevorzugt wurde und mir mit Tourenleiter
Christian ein Zimmer teilen durfte, darüber kann ich nur rätseln.
Vielleicht wollte er einen gewissen Einfluss auf den Chronisten
nehmen. Wie dem auch sei, unsere Zimmergemeinschaft bekam schon
bald etwas Rituelles. Dazu gehörte auch die allmorgendliche
Abstimmung über Dinge, die auf den Touren mitzunehmen seien.
Ch: Nimmst du Regenkleidung mit?
G: Ja, sicher ist sicher!
Ch: Ach, ich nehme keine mit.
G: Wir sind den ganzen Tag unterwegs. Was machst du, wenn unterwegs
plötzlich . . ?
Ch: Also gut, es kann ja nicht schaden.
Dieser Entscheidung mag wohl zu verdanken sein, dass das Wetter
von Tag zu Tag besser wurde. Und wie sich das anfühlt, wenn
die Strecke bei schönstem Wetter in einer gewissen Regelmäßigkeit
hügelauf- und hügelabwärts verläuft, das erlebten
wir am Dienstag. Über Marlenheim, Wasselone und Marmoutier
fuhren wir zur ehemaligen Bischofsstadt Saverne. In Marmoutier legten
wir eine kulturelle Pause ein. Eine alte Kirche stand auf dem Besichtigungsprogramm,
in der gerade eine Kunstausstellung stattfand. Kurz vor der Weiterfahrt
entdeckten Einige, dass in der Kirche auch eine Gruft zu besichtigen
ist. Diese, nennen wir sie mal Grufties, bescherten uns eine unvorhergesehene
Verlängerung der Pause. In Saverne reichte dann die Zeit aber
noch, um sich die Grande Rue mit ihren schönen Fachwerkhäusern
anzusehen, in einem Straßencafé alle Vorräte an
Blaubeerkuchen aufzuessen und das Rohan-Schloss zu umfahren.
Der Mittwoch stand ganz im Zeichen des Elsaß europäischer
Dimension. Wir fuhren am Canal de la Bruche nach Strasbourg, um
uns all‘ das anzusehen, was sich alle ansehen. Beeindruckend
war die Sicht vom Münster auf die Stadt. So schön "Petit
France" auch ist, wir verließen es frühzeitig, um
zu einer Weinprobe nach Molsheim zu fahren. Ein Biowinzer erläuterte
uns den Weinbau und ließ uns von seinen edlen Tropfen probieren.
Nach dem Motto "Bier auf Wein, das ist fein", fanden sich
am Abend noch einige Nachtschwärmer auf dem Rathausplatz ein.
Dem nimmermüden Roland folgend setzten wir uns vor das "Mutzig"
und warteten bei ein paar Gläschen Gerstensaft auf den nächsten
Tag. Mutzig ist ein mittelalterlicher Prachtbau, der von der Metzgerinnung
errichtet wurde und der das schräg gegenüber stehende
Rathaus in den Schatten stellt (auch nachts).
Am Donnerstag wurde erstmals die Temperatur erreicht, die den Artikel
so interessant macht. Unser Vorteil: an diesem Tag war die Bergetappe
zum Château du Nideck vorgesehen. Wir befuhren eine lang gestreckte,
steile Pass-Straße, die fast ausschließlich durch Wald
führte. Schatten begleitete uns also bergauf und bergab. Von
der höchsten Stelle des Passes gibt es einen Fußweg hinab
zur Burgruine und den darunter gelegenen Wasserfällen. Klaus
blieb bei den Rädern und wir anderen machten uns an den Abstieg.
Von den Resten des Burgturmes konnten wir die Sicht auf die Vogesen
genießen. Mindestens ebenso bemerkenswert war die Ansicht
von Christian auf einer Aussichtsplattform über den Wasserfällen,
eine der seltenen Gelegenheiten, ihn in kurzen Hosen zu fotografieren.
Mit 37°C war vielleicht doch seine ideale Betriebstemperatur
erreicht. Auf dem Parkplatz zurück, hatten wir nur noch eines
im Sinn: die laaange Abfahrt. Selbst als Genussradler, der keinen
Ehrgeiz in hohe Geschwindigkeiten legt, erreichte ich knapp 57 km/h.
Es war ein berauschendes Gefühl.
Konnten wir am Donnerstag überwiegend im Schatten fahren, stand
uns am Freitag die pralle Sonne im Gesicht, denn wir fuhren nur
durch Weinberge. Wir wollten auf der Route du Vin bis nach Riquewir.
Und das bei Christians optimaler Betriebstemperatur (s.o.). Hier
zeigten sich übrigens seine Tourenleiterqualitäten: Flexibel
erklärte er den Tag zum "Tag der was-ihr-wollt-Tour".
So bildeten sich drei Gruppen und eine Separatistin. Eva und Klaus
betrieben Seelenmassage bei Bettina, die durch eine allergische
Reaktion nach einem Insektenstich sehr litt. Helgas Treiben blieb
dem Chronisten verborgen. Rolf, Christian, Reiner, Rudi, Christine,
Madelaine, Kamilla und Günter passten sich der Wetterbedingung
an, machten eine lange Mittagspause und verkürzten die Tour
auf Dammbach la Ville. Und die ganz Hartgesottenen Roland, Thomas,
Annette, Erdal und Anja? Die ließen sich auf der etwa 100
km langen Tour bis Riquewir und zurück weichkochen. Festzuhalten
bleibt: 1. es gibt noch schönere Fachwerk- und Winzerorte als
in Nordhessen oder dem Rheingau und 2. Christian glaubt, Sonnenschutzmittel
sind zum Baden da.
Am Samstag war Rückreise. Die Fahrt nach Offenburg verlief
auf den schon liebgewonnenen Radwegen auf der Bahntrasse und entlang
des Canal de la Bruche bzw. auf deutscher Seite entlang der Kinzig
(nein, nicht die aus der Wetterau). Unterwegs machten wir einen
Abstecher zu einem romantischen Hotel in einem ehemaligen fürstbischöflichen
Hofgut. Dort lernte ich das kulinarische Selbstverständnis
der Elsässer kennen. Im Gespräch mit dem Hotelier äußerte
ich, dass es im Elsaß ein Problem sei, vegetarische Kost zu
bekommen. Die prompte Antwort war: "Wir haben damit kein Problem.
Sie haben damit ein Problem."
Die Rückreise verlief bis auf kleinere Zwischenfälle reibungslos.
Ab und zu fiel mal etwas Gepäck vom Fahrrad. Da es sich immer
um das gleiche Rad handelte, wurden Überlegungen laut, ob es
etwa überladen sei. Letztendlich kamen wir wohlbehalten und
gut gelaunt in Frankfurt an. Zum Abschied verabredeten wir uns zu
einem Nachtreffen am 13. Oktober. Dann wollten wir Rolands Geburtstag
feiern und mit unseren Fotos in Erinnerungen schwelgen.