Ausgabe 4/2000 Jul. / Aug. |
Unter hessischer Sonne Wird der Pullover nötig sein? Wieviel Werkzeug braucht der Radtourist wirklich? Musste es unbedingt das komfortabel-große 3-Mann-Zelt sein? Fragen über Fragen, die sich ungehindert im Kopf breitmachen. Die Waage zeigt am Abend zuvor eine plötzliche Gewichtszunahme um knapp 40 kg – „Ohne Wasser und Proviant!" –, macht, zuzüglich Radler und Radlerin, zuzüglich 2 Fahrrädern, immerhin gute 230 kg, die, verpackt in diverse Taschen und Säcke, in zwei Portionen hier hinauf sollen. Der Schweiß läuft sofort in Strömen, und der Kopf denkt nach über Qualen, Gewichte, Zahnkränze und Übersetzungsverhältnisse. Nur die Augen stieren erwartungsvoll nach oben, hin zu diesem hellen Fleck zwischen den Bäumen, der ein Ende der Steigung erhoffen lässt. Wir befinden uns auf einem Teilstück des R8, kurz hinter Eppstein. Unvermittelt zweigt ein Waldweg rechts von der Straße ab. Nur die gute Vorbereitung mit Kartenmaterial lässt rechtzeitig ein unauffälliges Schild erkennen, das auf den Radweg hinweist. Sofort geht es steil bergauf. Wer sich nicht in der Karte informiert hat, daher jetzt nicht mehr den Sprung in die kleinen Gänge schafft, darf nochmal zurück, muss nicht über „Los", muss aber erneut Anlauf nehmen. Langsam schleichen wir bergan. Das, wie immer am Anfang einer Reise, ungewohnt schwere Rad gibt Anlass zu nicht immer freundlichen Gedanken (s.o.). Doch da ist dieser Lichtblick zwischen den Bäumen, und, wirklich, irgendwann hat auch diese Steigung ein Ende, und ein traumhafter Ausblick in die Täler des Taunus belohnt für die Quälerei. Ein kleines Sträßchen zieht sich leicht steigend über einen Bergkamm, weite blühende Wiesen, rechts ist der Feldberg von hinten zu sehen. Verkehr? Ab und zu ein einsamer Jogger oder ein paar beinharte Biker, zwei Reiter und später ein Traktor. Der Urlaub unter hessischer Sonne hat begonnen. Wir bleiben in den kleinen Gängen, es ist halt ein dauerndes Auf und Ab hierzulande. Vor Idstein erscheint das Übergewicht dann schon wieder normal, trotz Schussfahrt in den Ortskern kann die Fuhre rechtzeitig vor der Versammlung der hessischen Weinköniginnen zum Stehen gebracht werden. Glasbruch ist vermieden, die übergroßen Schoppenbecher der Königinnen bleiben heil, ebenso die Stimmung auf dem malerischen innerstädtischen Festplatz. Allerdings ist uns zu dieser Mittagszeit, trotz animierender Schlagerkapelle, noch nicht nach alkoholischer Erfrischung zu Mute. Eine Eisdiele bietet sich als Alternative an. Bei in die Jahreszeit passendem Erdbeerbecher läßt sich dann aus sicherer Distanz die musikalische Darbietung leichter ertragen. Außerdem entgehen wir in italienischen Eisdielen der Unsitte des „Draussen nur Kännchen", hier bekommt, wer eine Tasse Kaffee bestellt, wirklich auch nur eine Tasse, und das auch an Sonn- und Feiertagen. Die steile Abfahrt ins sehenswerte historische Zentrum von Idstein hat natürlich für den Radler fatale Folgen. Stadtauswärts bewegen wir wieder die kleinen Gänge und die großen Muskeln, immerhin auf asphaltiertem Feldweg. Auf dem Gipfel dann scharf nach links, und wieder mal zieht sich ein Sträßchen auf dem Kamm entlang, durch ausgedehnte Felder, vorbei an Bauernhöfen, deren Besitzer in Kühltaschen Wurstdosen feilbieten. Vom Bauern ist nichts zu sehen, es herrscht Selbstbedienung, eine Preisliste und eine Geldbox regeln den Vertrauens-Einkauf. Da wir aber heute schon genug Gewicht haben, bleibt die Kühltasche zu. Locker werden die letzten Steigungen Richtung Bad Camberg in Angriff genommen, bevor der Radweg im „Goldenen Grund" flach entweder entlang der Bahn oder der B8 verläuft. In Selters wird dann irgendwo die Beschilderung verpasst und dadurch auf der Bundesstraße gelandet, werden einige Kilometer mit erhöhtem Tempo und Adrenalin zurückgelegt. Bei Oberbrechen finden wir doch wieder in die Radlerschutzzone zurück, fragen uns dann allerdings, warum Radwege eigentlich nicht die gleiche Qualität in Belag und Beschilderung bieten wie die Bundesstraßen. Da diese Frage aber älter ist als der ADFC, diskutieren wir sie nicht schon wieder komplett neu aus. Wir ziehen uns diesmal auf unseren Status als urlaubende Radtouristen zurück und erfreuen uns an den Fortschritten, die inzwischen erzielt wurden. Vielleicht würde ja sogar etwas fehlen, wenn wir nicht mit Karte, pfadfinderischem Gespür und kritischem Gemaule durch die Lande fahren könnten. Mit nun wieder entspannter Fahrweise nähern wir uns dem Lahntal bei Dietkirchen, nur wenige Kilometer vom Limburger Campingplatz entfernt. Der Wind scheint günstig, er weht von West und könnte damit den Lärm der Autobahnbrücke, die in Sichtweite des Zeltplatzes die Lahn überspannt, mildern. Aber zum Zeitpunkt dieser Gedankengänge war uns der Alleinunterhalter, der mit seiner watt- und phonstarken Anlage das Vatertagspublikum der Camping-Gaststätte zum kochen bringen sollte, noch nicht bekannt. Auch so lässt sich bis zum späten Abend Verkehrslärm mit dem „Anton aus Tirol" bekämpfen. Das hindert echte Sportler jedoch nicht daran, durch das Entflammen des Gaskochers und das Öffnen von Bierflaschen den Feierabend einzuläuten. Nach dem Essen bietet eine Wanderung durch Limburgs Altstadt mit Besichtigung des renovierten Domes noch Kultur und Historie satt. Von den Gewichten des Tages und den Schweißrändern befreit, fühlt sich der Radtourist als Fußgänger wieder recht zivilisiert. Und ist froh darüber, Limburgs steile Altstadtstraßen ohne Velo besuchen zu können. Das letzte Bier am Ufer der Lahn hilft dann, im (jetzt doch) erfreulich komfortablen Zelt Schlaf zu finden. Wenigstens bis zum Morgengrauen, in dem nach Wind- und Alleinunterhalterstille die Autobahn wieder langsam ins Bewusstsein dringt. Werden die Letzten wirklich die Ersten sein? Irgendwann am späten Vormittag ist es geschafft: Zwei fahrbereite Räder werden von zwei fahrbereiten Radlern zur Rezeption geschoben. Nochmal Sonnencreme auftragen, es wird heiß heute. Zurück bleiben einige Quadratmeter grüne Campingwiese. Und, wie schon so oft, Erstaunen darüber, dass all unser Zeug doch wieder transportfähig verpackt ist. Immerhin ein kompletter Haushalt, der in „expandiertem" Zustand verblüffend viel Fläche belegt. Los jetzt, unter der Autobahnbrücke und der ICE-Baustelle (in schwindelnder Höhe basteln kleine Männchen an der Überquerung des Tales) hindurch, immer schön an der Lahn entlang. Möglichst flach, möglichst bequem, um die vom gestrigen Tage müden Beine nicht zu überreizen. Natürlich kommt, wie kann es anders sein, gleich im nächsten Ort ein giftiger Anstieg, weg vom Uferweg. Und dank unklarer Beschilderung folgt noch eine zusätzliche, unnötige Bergwertung im Dorf. Es bleibt also bei den großen Ritzeln, auch an der Lahn. Doch dann rollt es, wie es sich für einen Flußuferweg gehört. Der leichte Westwind hilft dem Radler, Runkel nicht ganz verschwitzt zu erreichen. Die Suche nach einem Café gestaltet sich einfach, ein Schild am Ortseingang weist auf die Neueröffnung hin. Im Hof eines ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesens versucht jetzt ein Konditor sein Glück. Die Erdbeertorte jedenfalls, unter großen Sonnenschirmen genossen, schmeckt. Fast so wichtig wie die Eröffnung des Cafés ist in Runkel aber die Burg. Noch nie dagewesen? Nur gesehen auf den Schwarz-Weiß-Fotos der Eltern bei deren Lahn-Paddeltour in den 50ern? Dann wirds aber höchste Zeit, selbst mal zu schauen! Ein freundlicher älterer Herr erhebt sich aus einem Sonnenstuhl, der hinter dem großen Burgtor, aber vor dem Eingangsdrehkreuz steht. Wir zahlen einen moderaten Betrag und dürfen passieren. Zwischen viel altem Stein, hinter dem in manchen Gebäuden offensichtlich noch gewohnt wird, klettern wir durch kalte Verließe und dunkle Stiegenhäuser durch die Anlage. Ganz oben dann, vom Turm herab, bietet sich ein toller Blick über die Burg, die mittelalterliche Stadtanlage und das Lahntal. Und, am Horizont, ist mal wieder der Feldbergturm von hinten zu sehen. Das Gefühl, schon weit weg von Zuhause zu sein, bekommt einen leichten Knacks. Wer mag, kann sich jetzt noch diverse historische Mordwerkzeuge anschauen, Ritterrüstungen, mittelalterliche Einrichtungsgegenstände und Küchengeräte – was auf deutschen Burgen eben so ausgestellt wird. Der nette Herr am Eingang hat seit unserer Ankunft keine Zeit mehr gefunden, in seinem Sonnenstuhl Platz zu nehmen. Der Vorplatz hat sich mit Fahrrädern gefüllt, den dazugehörigen Radlern müssen Eintritts- und Postkarten verkauft werden, Briefmarken und Souveniers. Und sie müssen informiert werden über die Geschichte der Burg und deren Bewohner. Ein junges Paar, aus der Burg kommend, begrüßt den netten Herrn, Er stellt ihm Sie vor. Nach kurzem Gespräch, unter anderem über die Neueröffnung des Cafés, verschwindet das Paar durch das Burgtor. „Das war der kleine Prinz", erfahren wir vom netten Herrn mit bewegter Stimme. Na, das haben wir von dem großen Mittzwanziger, der, wie wir erfahren durften, von einem längeren Auslandsaufenthalt auf die heimische Burganlage zurückkam, kaum zu denken gewagt. Immerhin ist es das erste Mal, dass uns ein echter Prinz begegnet ist! Wird fortgesetzt (ps)
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