Radfahrer - eine Stadtplage?
TV-Live-Diskussion im Rahmen der Reihe
"Stadtgespräch" in Hessen 3
Es war am 16. September, pünktlich zur IAA. Ganz Bockenheim
und Westend waren zugeparkt, auf den Autobahnen staute sich’s bis in die angrenzenden
Bundesländer, die Stadt wimmelte von begeisterten Automobilisten. Ausgerechnet da
überkam es den Hessischen Rundfunk, ein Live-Streitgespräch mit dem Titel
"Radfahrer - eine Stadtplage" aufs Programm zu setzen. Nach längerer
Seelenmassage war es Fritz Biel gelungen, daß wenigstens noch ein Fragezeichen dahinter
gesetzt wurde. An dem milden Herbstabend hatte der HR die Aufnahmen im Freien vor dem
Café Hauptwache arrangiert, Uwe Günzler moderierte. Auf dem Podium saßen Bernd Irrgang,
Vorsitzender Bund der Fußgänger, der Verkehrspsychologe Horst Ziegler und last but not
least Fritz für den ADFC.
Hauptsächlich
ging es um Differenzen, die Leute zu Fuß mit denen zu Rad so haben. Das Auto, eigentlich
Hauptproblem beider Verkehrsteilnehmergruppen, stand weniger zur Diskussion. Die Sendung
war im HR angekündigt, entsprechende Infos gab es auch übers Internet.
Falls beim HR die Absicht bestand, die Radfahrer als notorische
Verkehrsrüpel an den Pranger zu stellen oder die erreichten Liberalisierungen für
Radfahrer in Fußgängerzonen in Zweifel zu ziehen, so wäre die Sendung ein Fehlschlag
gewesen. Gewiß, eine vorn vor dem Podium plazierte Pressure-Group versuchte mit
erstaunlichen Beinahe- und Unfallgeschichten in diese Richtung Stimmung zu machen. So
berichtete eine Fußgängerin, innerhalb von 3 Monaten dreimal von Radfahrern angefahren
worden zu sein, die allesamt auch noch Unfallflucht begangen hätten. In das gleiche Horn
stießen unisono zahlreiche ZuschauerInnen (HR3 sieht man auch jenseits der Landesgrenzen)
- die bei ihren Anrufen kein gutes Haar an der radelnden Zunft ließen. (Also, ich habe
mich da richtig geschämt.) Natürlich wurde gefordert, Fußgängerzonen für Radler zu
sperren (besonders für die geplante Offenbacher Zone).
Die Radkuriergruppe und vor allem die ADFC-ler argumentierten
sachlicher. Trotz aufgeheizter Stimmung gelang es, etliche Gründe für unorthodoxes
Verkehrsverhalten ins Feld zuführen. Radler fahren umsichtig und beherrschen ihr
Fahrzeug; sie überblicken die Situation aus der Fahrrad-Perspektive besser als mancher
andere Verkehrsteilnehmer. Wichtig ist, daß niemand gefährdet wird (§1 StVO). Dann kann
man (und muß - leider - angesichts der Verhältnisse auf den Straßen) auch mal alle
fünfe gerade sein lassen. Ein 78jähriger Zuschauer schließlich hielt es mit Wilhelm
Tell: "ich grüße keine leeren Hüte" - rote Ampeln ohne Verkehr mißachte er.
Allmählich kippte die radfahrerfeindliche Stimmung, auch mit Hilfe
anrufender Zuschauer. Es kamen die zahlreichen Schikanen zur Sprache: zugeparkte Radwege
und -Streifen, zu KFZ-Parkstreifen umgewidmete Radwege, Sicherung bzw. Einrichtung von
Radverkehrsanlagen auch bei neugestalteten Straßen verweigert, desolater Zustand der
Radverkehrsanlagen allgemein. Dagegen die überraschende Feststellung einer Vertreterin
des Straßenbauamts: seit 10 Jahren tut man nichts anderes, als den Radverkehr zu
fördern. Aber selbst die Polizei-Fahrradstreife ließ ein klitzekleines Verständnis für
unsere Nöte durchschimmern, sie erleben unsere Probleme täglich hautnah bei ihrer
Arbeit.
Schließlich brachte Fritz es auf den Punkt: wenn Autos überall in der
Stadt langsamer fahren (z. B. 30 km/h), dann kehrt sowohl für Radfahrer als auch für
Fußgänger ein Klima von Ruhe und Sicherheit ein. Dieser Forderung konnte sich auch Herr
Irrgang nicht entziehen. In seinem Schlußwort bezweifelte der Verkehrspsychologe Horst
Ziegler, daß das vernünftige Miteinander von Fußgängern und Radfahrern gelingen kann,
wenn amtlicherseits nicht mehr für den Radverkehr getan wird. Untermalt wurde diese
Feststellung vom Reifenquietschen eines gerade vorbeifahrenden Autos.
Interessant für Leute, die dabei waren: die Videoaufzeichnung gibt
die Gesamtwirkung der Sendung wieder, und es erscheint manches in milderem Licht, als es
der Titel der Sendung zunächst erwarten ließ. Wer Lust hat, kann sich den Streifen bei
der Weihnachtsfeier des ADFC Frankfurt e.V. nochmal ansehen am 9. Dezember um 19 Uhr im
Bürgerhaus Bockenheim, Schwälmer Straße Ecke Kurfürstenplatz.
Bertram Giebeler, (fl)
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