Der rechthaberische Aktionist wird angesehener
Anwalt
20 Jahre Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club:
Was für die Radler erreicht wurde und was zu tun bleibt
A
m Anfang war das Sendungsbewußtsein. Man trug Naturwolle,
Latzhose und Bart und hatte am Fahrrad eine grellrote Abstandskelle. Ein gutes
Mittelklasserad kostete 400 Mark, aber Besseres gab es nur aus ausländischer Produktion.
Im Frankfurter Radlertreff kamen allenfalls moralisch überlegene Underdogs zusammen, die
sich gegenseitig Mut zum Durchhalten in einer feindlichen Umwelt machten. "Wie ein
von vielen gehetzter Hase" lautete bezeichnend 1979 die Überschriftenzeile eines
Berichts in dieser Zeitung über das Radfahren in der Großstadt. In Bremen, dem Ort
seiner Gründung und am Sitz seiner Bundesgeschäftsstelle, feiert der Allgemeine Deutsche
Fahrrad-Club (ADFC) in diesen Tagen sein zwanzigjähriges Bestehen. Das ist Gelegenheit
für einen Blick darauf, wie aus teilweise aktionistischen Anfängen eine ernstzunehmende
Lobby für das Verkehrsmittel Fahrrad wurde. Frankfurter Erinnerungen illustrieren die
regional durchaus unterschiedlich verlaufene Entwicklung.
20 Jahre
ADFC
Im Gespräch der Recken und
Reckinnen vom Radlertreff ging es damals gelegentlich auch um die richtige Technik, ein
auf dem Radweg hinderlich geparktes Auto im Vorbeifahren von seinem Außenspiegel zu
befreien, ohne sich selbst etwas zu brechen. Trotz solcher beinahe kampfsportlichen
Attitüde waren Theologen wie Günter Stiller und Harald Braunewell in Frankfurt
ADFC-Aktivisten der Gründergeneration; ein erster Stadtplan für Radfahrer wurde mit
Mitteln des Evangelischen Regionalverbands möglich. Anne Modersohn, spätere
ADFC-Bundesvorsitzende, brachte den ersten Führer für Radreisen zwischen Taunus und
Wetterau heraus. Das waren gedruckte Meilensteine, die zugleich etwas verdeutlichten, was
bis heute, gleichgeblieben ist: Dem ADFC geht es anders als dem Dach der Radsportvereine,
dem viel älteren Bund Deutscher Radfahrer (BDR), um den Alltagsradler. Der fährt mit dem
Rad zur Arbeit und zum Einkaufen, er reist mit dem Rad, er sieht im Fahrrad sein
Verkehrsmittel und nicht bloß ein Freizeit- und Sportvehikel. Eine Hausfrau, die mit Kind
und Einkaufskorb auf dem Fahrrad unterwegs ist, hat völlig andere Interessen als ein
Radsportler. Der BDR veranstaltet Rennen auf polizeilich abgesperrten Straßen, der ADFC
steht seit der Gründung durch Jan Tebbe (Vorsitzender bis 1982, gestorben 1985) für die
Gleichberechtigung des Radfahrens im allgemeinen Straßenverkehr.
Die Stärke des ADFC in den Anfangsjahren sei zugleich sein
Hauptproblem gewesen, sagt Bundesgeschäftsführer Horst Hahn-Klöckner: "Leuten Raum
zu geben, Dinge auf ihre Art zu tun." Von Ort zu Ort recht unterschiedlich wurde mit
Vorschlägen zur Verkehrsplanung oder mit demonstrativem Radeln, mal eher
ökologisch-orthodox und besserwisserisch wie die damals noch aktiven "Grünen
Radler", mal vorwiegend mit verkehrstechnisch argumentierender Gremienarbeit im Sinne
Tebbes lokal der Hebel angesetzt. Für den örtlichen ADFC warben aber auch
Ausflugsprogramme, Pannen- und Werkstattservice, Beratung in technischen Fragen oder
Radreisen. Dabei diente als Vorbild für Serviceangebote wie beim Vereinsnamen der große
Automobilklub. Seit 1986 kümmert sich um die Serviceleistungen eine GmbH. Der
Mitgliederzustrom hielt seit dem Start mit 179 Eingetragenen und einem Jahresbeitrag von 2
Mark ständig an; heute hat der ADFC rund 100.000 Mitglieder. Im Zuge der Vergrößerung
machte der ADFC eine Professionalisierung und Umstrukturierung durch, die sich parallel -
und in manchem ähnlich - zur Etablierung der Grünen in der kommunalen wie der Landes-
und Bundespolitik vollzog. Zugleich erlebten die Behörden, die unser Verkehrswesen
gestalten, einen Generationswechsel Vieles, was heute längst bewährt ist, wurde als
ADFC-Vorschlag zunächst brüsk zurückgewiesen. Dem Verfasser sind
"Befahrungen" mit der Spitze der planenden Ämter Frankfurts in Erinnerung, die
mit Diskussionsabbruch endeten. Die Forderung nach dem Öffnen stiller Einbahnstraßen
für den Radverkehr in Gegenrichtung prallte einfach am Rechtspositivismus der
Behördenvertreter ab: Das sei nicht vorgesehen, das gebe es nicht, das könne man nicht
machen. Heute geht das in Frankfurt, sogar auf stark befahrenen Einbahnstraßen. Aber es
geht nicht überall. Vielerorts wird der Radverkehr noch immer nachrangig behandelt. Man
richtet eine Baustelle ein, leitet den Autoverkehr um, sichert den Fußgängerbereich und
stellt ein Schild auf: "Radfahrer absteigen" - deren Schwierigkeiten scheinen
mit dem Umfirmieren zum Fußgänger behebbar zu sein. Den Verkehr, sagt Hahn-KIöckner,
ordneten nun einmal beamtete Ingenieure, und die fielen nicht durch ihren Drang zur
Weiterbildung auf.
Auf der Liste seiner Erfolge sieht der seit 1998 von Wolfgang Große
geführte ADFC die Einführung des seitlichen Unterfahrschutzes bei Lastwagen (1989)
genauso wie die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen von 1995 und die Novelle zur
Straßenverkehrsordnung von 1997 - hier habe man mitgestaltet. Lob als "Partner mit
offenem Ohr" erhält die Deutsche Bahn: Zusammen mit den Schweizern seien die
Deutschen Vorbild für europäische Nachbarn wie Frankreich beim Transport von Fahrrädern
im Zug. Die Verknüpfung sich ergänzender Verkehrsmittel hatte schon Tebbe 1979
gefordert, doch auch 20 Jahre später kommt kein gewöhnliches Fahrrad im ICE mit. Das
Drängen auf fahrradfreundliche Vorschriften und die Mitarbeit daran ist eine Sache, das
Küren beispielhafter Modelle zum "Fahrrad des Jahres", Sicherheitszertifikate
für Fahrradhelme oder das Vermitteln eines Reisepartners sind andere ADFC-Aktivitäten -
der Anwalt der Radler arbeitet über den Lobbyismus hinaus auf vielen Feldern. Eines, das
erst jüngst mit Macht und ministerieller Unterstützung unter den Pflug genommen wurde,
ist das Ankurbeln des Tourismus auf den Radfernwegen mit der Herausgabe eines
Gesamtverzeichnisses. Aber der Katalog der offenen Positionen ist auch lang. Da wäre etwa
ein deutscher "Masterplan Fiets" - ein Gerüst von politischen
Grundsatzentscheidungen zur Förderung des Fahrradverkehrs nach niederländischem Vorbild.
Und weiter: Tempo 30 innerörtlich, Ampelphasen, die nicht nur am Autoverkehr ausgerichtet
sind, Routennetze (das heißt nicht unbedingt: neu zu bauende Radwege), in allen
Gemeinden, ein durchgängiges Fernradwegenetz von familienfreundlichem Standard, eine
angemessene Kilometerpauschale für Radler - und nicht zuletzt ein "technisch
einwandfreies Fahrrad". Hahn-Klöckner: "Wie beim Auto." Man hat für die
Radler noch eine Menge einzufordern - wie vor 20 Jahren.
Hans-Heinrich Pardey
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Beilage Technik und Motor vom 11.5.99
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