Afrika hautnah
Per (E-)Bike rund um den Kilimanjaro
Ich bin jetzt Mitte sechzig und war (bis Januar 2024) noch nie in Afrika. Man kann mit diesem Zustand ganz gut leben, aber wenn sich ein passendes Angebot ergibt – dann kann man diesen Zustand ja ändern. Und so kam es bei der ADFC-Radreisemesse im März 2023 nach einem Bildervortrag über eine Reise „Mit dem Mountainbike rund um den Kilimanjaro“, vorgetragen vom Firmeninhaber eines gar nicht mal so kleinen Reiseunternehmens persönlich. Meine Frau Anne und unser Freund Ecki waren spontan begeistert, buchten gleich an Ort und Stelle und drängten mich, doch auch mitzufahren. Nach einer gewissen Bedenkzeit – im Reiseprospekt stand etwas von bis zu 1200 Höhenmetern am Tag auf Schotterpisten, und das in Tansania und nicht im Taunus – sagte ich zu. Wir konnten E-Mountys buchen – was die knappe Mehrheit der Reisegruppe dann auch tat.
Der Hinflug zum Kilimanjaro Airport ging über Addis Abeba, Afrikas größtem Hub-Flughafen. Der Kilimanjaro Airport liegt zwischen Arusha und Moshi, den zwei wichtigsten Zentren des Tourismus in Tansania. Vor dort startet der ganze Safari-Tourismus in die Serengeti, den Ngorongoro-Krater und diverse andere Naturparks, und auch die Bergsteigerei auf den Kilimanjaro geht von dort aus los. Der Kilimanjaro ist Afrikas höchster Berg, knapp 6000 Meter hoch, und außerdem der höchste Vulkan und der höchste völlig freistehende Berg der Welt. Wir bekamen ihn an etwa der Hälfte der Reisetage zu sehen – ein gewaltiger Anblick!
Radfahren rund um den Kilimanjaro ist eine neue Idee, und es ist auch eine kühne Idee, denn eine Infrastruktur für Radtourismus gibt es dort definitiv nicht. Es wird auch von der Bevölkerung nicht viel Rad gefahren, man sieht ein paar chinesische Modelle und Material aus karitativen Sammlungen. Ansonsten gehen die Leute zu Fuß oder nutzen Sammeltaxis („Dalla-Dalla“). Wer es sich leisten kann, fährt ein 125-ccm-Motorrad chinesischer Herkunft.
Mir starteten von einem größeren Lodge-Hotel in Moshi. Ich will jetzt nicht die ganzen Orte auf der Tour erwähnen. Kurz zusammengefasst, ging es nach Karte entgegen dem Uhrzeigersinn um den Berg herum, auf Höhen zwischen 800 und 2.100 Metern. Die sieben Radeletappen (zusätzlich gab es einen Pausentag in wunderschöner Landschaft mit Jeep-Safari) hatten zusammen 350 km Länge, wir bewältigten dabei 5.200 Höhenmeter. Das ist eigentlich nicht viel – wenn man europäische Wegestandards zugrunde legt.
Genau das sollte man aber besser nicht! Eine tansanische „dirt road“ nach ergiebigem Regen ist hüfttief verschlammt, in ein Schlagloch auf einem befestigten Weg passt ein Ziegenbock, und eine Schotterpiste ist übersät mit handballgroßen Brocken – einen Augenblick nicht aufgepasst, und hoppla, in ballistischer Flugkurve verlässt man den Sattel! Die Wegequalität brachte es mit sich, dass auch mit E-Bike die Tour für Anne und mich (und andere) ziemlich herausfordernd war. Immerhin hatten wir beide keine Stürze, fuhren alles mit, ohne je in einen der zwei begleitenden Toyota-4WD-Kleinbusse umzusteigen, und hatten keine einzige Panne am Rad.
Feuchtes Wetter sorgte für ein freundlich-grünes Landschaftsbild
Die Tour wurde Anfang 2023 zum ersten Mal von „Reisewelt“ durchgeführt. Damals war es jahreszeittypisch trocken, sogar dürr. Diesmal kamen wir in eine Wetter-Anomalie, die wohl mit dem El-Niño-Phänomen zusammenhängt. Die sogenannte „kleine Regenzeit“ von November hatte einfach nicht aufgehört. Alles war sattgrün, wie im Allgäu. In einer Nacht während der Tour ging ein Starkregen runter, der andernorts in Tansania mittlere Katastrophenzustände verursachte. Deshalb waren manche Wege, die für die Tour geplant waren, schlicht unpassierbar. Das feuchte Wetter sorgte für ein freundliches Landschaftsbild und viele schöne Schmetterlinge und Blumen, brachte aber auch andere Effekte mit sich, etwa für die Safaritouristen. So kamen die Wildtiere nicht wie sonst in Massen zu den bekannten Wasserstellen, wo die Fotografen auf sie warten. Wozu auch, es gab überall Wasser zum Trinken und Suhlen, da braucht der Büffel oder das Nilpferd den Touristen nicht extra vor die Kamera zu laufen.
Apropos Wildtiere: das war nicht Hauptthema der Reise, aber immerhin sahen wir in freier Wildbahn einen Elefanten, eine Menge Giraffen und Zebras, Wasserbüffel, Warzenschweine, diverse Affen und Antilopen. Weniger erwünschte Kleintiere wie Mücken, Stechfliegen, Spinnen, Skorpione gab es so gut wie keine. Malaria wurde uns gegenüber nie als Thema erwähnt, wohl wegen der Höhe und auch der relativ kühlen Witterung in diesem Januar.
Kommen wir zu den starken Eindrücken der Reise: Landschaft, Unterkünfte und Verpflegung, Reiseorganisation, Freundlichkeit der Bevölkerung. Der großartigste Landschaftsblick für mich ergab sich gegen Ende der Tour im Massai-Gebiet. Von einem Hügel sieht man die endlos weite Hochebene, begrenzt vom riesigen stumpfen Kegel des Kilimanjaro mit seiner Schneehaube im Osten und dem scharfkantigen dunklen 4.500 Meter hohen Mount Meru im Westen – Landschaften solcher Dimension gibt es bei uns einfach nicht! Oft schweifte der Blick hundert Kilometer weit hinüber ins Nachbarland Kenia.
Die Tagesetappen endeten durchweg in schönen interessanten Unterkünften, von Luxus-Lodge mit Dusche im Zelt über quasi-alpinen Berggasthof bis zum Campingplatz mit extra für uns aufgebauten geräumigen Zelten mit Bett. Sie lagen fast alle in landschaftlich schöner Aussichtslage, teilweise richtig spektakulär. Die Verpflegung war ausgezeichnet, sehr obst- und gemüseorientiert, sehr schmackhaft, morgens und abends in der Unterkunft und zur Mittagspause im freien Feld aus dem Auto, mit Camping-Klappmöbeln. Es gab immer Kaffee, Tee, Saft und Wasser, und bei der Ankunft in der Unterkunft auch mindestens eins der drei gut trinkbaren tansanischen Biere (Kilimanjaro, Serengeti oder Safari). Die Reiseleitung hatte zudem ein reichliches Kontingent des lokalen Schnapses „Koniaki“ in der Hinterhand, einer Art Kombination von Rum und Gin. Nebenbei: nicht einmal geübten Trinkern empfehlen würde ich das Bananenbier, das arme Tansanier aus dem Plastikeimerchen konsumieren. Schon der graugelb-trübe Anblick lässt nichts Gutes ahnen.
Die Tourorganisation war – „Daumen hoch“ – einfach klasse
Da ich selbst seit vielen Jahren Radreisen leite, wenn auch „nur“ in Deutschland und seinen Nachbarländern, glaube ich mir ein Urteil erlauben zu können zur Tourorganisation insgesamt. Und das war, Daumen hoch, einfach klasse! Die Gruppe bestand aus 18 zahlenden Teilnehmer:innen und dem ganzen Leitungsteam. Der Unternehmensinhaber und -gründer von Reisewelt, Joachim Teiser, leitete die Tour persönlich. Joachim will dieses touristische Produkt im Markt etablieren, er ist Mitte sechzig, Bergsportler und unglaublich durchtrainiert und fit, er fuhr locker auf dem Bio-Bike vorneweg. Es begleiteten uns vier junge Tansanier auf dem Rad, davon zwei Mechaniker, die auch ständig zu tun hatten. Joachims Ko-Reiseleiter Ivor aus Sri Lanka hielt hinten auf dem Rad die Gruppe zusammen.
Es waren zwei Allrad-Kleinbusse jeweils mit Fahrer immer in der Nähe, die u.a. das Mittagessen und das Gepäck dabei hatten, aber auch Teilnehmer:innen aufnahmen, denen es temporär nicht so gut ging. Last not least Godbless aus Arusha, der ganz gut Deutsch spricht. Er sorgte dafür, dass in den Unterkünften alles klappte, die richtigen Zimmer ausgegeben wurden und das Gepäck der Teilnehmer:innen in den richtigen Zimmern landete. Die Räder, gerade die E-Bikes, waren von solider Qualität und wurden jeden Abend gepflegt, auch die Akkus geladen. Kurzum: es war eine „rundum-sorglos-Betreuung“, bei der alles funktionierte – alle Achtung!
Wenn die Karawane durch besiedeltes Gebiet kam, standen sofort gefühlt alle Kinder des Dorfes am Wegesrand und grüßten begeistert. „Yambo“ heißt auf Suahili „Hallo“, das haben wir gefühlt Tausend Mal gehört. Auch Erwachsene in den Dörfern grüßten gern, mit einer Mischung aus Anerkennung und Verblüffung. Freiwillig mit dem Fahrrad durchs Geröll zu fahren, käme nicht jedem Tansanier spontan in den Sinn. Bunt gekleidete Tourist:innen aus Germany sind da schon eine echte Abwechslung im Dorfleben. Besonders bewegend für uns war die Dankbarkeit und Freundlichkeit der Leute bei den zwei eindrucksvollen Schulprojekten, die von Reisewelt unterstützt werden und die wir auf unserer Tour besuchen konnten.
Apropos Dorfleben: Deutlich zu sehen ist, dass Tansania zu den ärmeren Ländern Afrikas gehört, zumindest auf dem Land. Gehungert wird nicht, aber die Lebensverhältnisse, Behausungen und Infrastruktur sind sehr ärmlich. Ein großes Plus von Tansania ist, dass es seit der Unabhängigkeit in den 60ern keine bürgerkriegsähnlichen Zusammenstöße der zahlreichen Stämme und Volksgruppen gab. Man lebt dort recht friedlich, Gewaltkriminalität wie in Südafrika oder Nigeria gibt es so nicht, Touristen sind recht sicher.
Radsport-Cracks, mit 70 topfit, fuhren die Tour im Bio-Modus
Unter den Teilnehmern war ein Arzt (im Ruhestand), der auch gelegentlich zum Einsatz kam. Die Gruppe war für so ein Abenteuer schon relativ alt, aber daran sieht man: Radfahren geht auf gutem Niveau noch bis ins hohe Alter. Einige kamen aus der osthessischen Radsport-Szene, die sich in der Rhön bekanntlich ordentlich austoben kann. Diese Cracks waren auch mit 70 topfit und fuhren die Tour im Bio-Modus!
Das bringt mich zu der abschließenden Bewertung, wem ich diese Reise empfehlen würde und wem eher nicht. Solide Fitness und Gesundheit, gerade von Bewegungsapparat und Herz-Kreislauf-System, gehört zu den Voraussetzungen. Sonst schafft man es nicht oder organisiert sich eine ständige Quälerei. Wir hatten zwar das Problem mit Nässe und Schlamm, aber bei Hitze und Dürre wäre es auch kein reines Vergnügen gewesen. Dann gehört dazu eine souveräne Fahrtechnik, idealerweise auf dem Mountainbike, die ohne Übung nicht zu bekommen ist. Es geht dabei nicht um halsbrecherische Downhills, sondern um „Fahrsicherheit in schwierigem Gelände“. Ein Sturz mit Knochenbruch kann in Tansania andere Folgen haben als im Taunus, wo es Rettungshubschrauber und Krankenhäuser gibt. Zu Fitness und Fahrtechnik muss noch ein echtes Interesse an Afrika dazukommen. Wenn diese drei Voraussetzungen gegeben sind – nichts wie hin! Für uns, und da kann ich wohl für alle Teilnehmer:innen sprechen, war diese Tour ein begeisterndes Abenteuer, über das noch lange gesprochen, gemailt und geappt werden wird.