Wegen Straßenbau geschlossen
Ein Herbstausflug in die Schweiz. Fortsetzung aus frankfurt aktuell 6/02 Endlich geht’s bergab! Nachdem die Bahn gut 20 Minuten durch den Tunnel gerattert ist, wird es kurz vor dem Örtchen Klosters wieder hell. Der Bahnhof liegt in der grellen Morgensonne, der Zug fährt pünktlich ein und entlässt mich auf die Hauptstraße in Richtung Landquart im Rheintal. Keine gute Idee, wie sich bald herausstellt. Nicht umsonst ist auf der Schweizer Velokarte der nun folgende Straßenabschnitt mit dicken roten Punkten gekennzeichnet. Die Kartenlegende verrät: „Strassen mit starkem Verkehr“. Dass dies an einem Wochentag Ende September anders sein könnte, hatte ich heimlich gehofft. Und dass es sich bergab auch mit Verkehr einfacher fährt als bergauf, schien mir ein kleiner Trost. Für die Zukunft würde ich aber empfehlen, hier auch bei Talfahrt die Dienste der Rhätischen Bahn in Anspruch zu nehmen, wenigstens bis zum Beginn der ausgebauten Hauptstraße bei Jenaz. Ab da fährt es sich dann doch weniger nervenaufreibend, die Lastwagen rollen drüben auf der Schnellstraße, weit ab der Veloroute, die der alten Straße folgt oder als Radweg in sicherem Abstand neben der Autopiste verläuft. Hier besteht die größte Gefahr darin, in eine der vielen Gruppen jugendlicher Biker zu geraten, deren männlicher Teil mit gewagten Manövern versucht, die Aufmerksamkeit der weiblichen Teilnehmer des Schulausflugs auf sich zu ziehen. Von außen betrachtet ein schwieriges Unterfangen, da junge Bikerinnen gerne (durchaus auch zu viert) Hand in Hand nebeneinander radeln und, ins Gespräch vertieft, offensichtlich wenig Aufmerksamkeit für männliche Kraftakte oder überholende Fahrrad-Touristen aufbringen wollen. Nach Überwindung dieser bedrohlichen Hindernisse und dem gefahrlosen Passieren der allgegenwärtigen Militärposten an Taleingängen und Brücken (es scheint Manöverzeit zu sein im Ferienland) durchfahre ich die enge Schlucht, die sich der Fluss Landquart auf seinem Weg zum Rhein gegraben hat und stoße auf den Schweizer Radwanderweg Nr. 2, die Rhein-Route. Die Beschilderung ist, wie auch schon im Tal des Landquart, annähernd perfekt, so dass die Straßen und Wege durch die Weinberge und -dörfer von „Heidiland“ oberhalb Maienfeld problemlos zu finden sind. Zwischen den Weinstöcken schweift der Blick über das breite Tal des Rheins, der hier, eingepfercht zwischen Hochwasserdämmen und gekreuzt von Autobahnen, Landstraßen und Eisenbahnlinien, kaum romantische Assoziationen zulässt. So geht es dann auch nach Verlassen der mittelalterlichen Winzerdörfer prompt in Richtung Rheindamm, auf dessen asphaltierter Krone bei leichtem Rückenwind zwar hohe Geschwindigkeiten erreicht werden, dessen auf Kilometer hinaus sturgerader Verlauf aber bald Langweile aufkommen lässt. Dafür ist es, endlich, warm. Richtig warm. So warm, dass Kinder auf den Schotterbänken im wasserarmen Fluss spielen, Familien Picknick am Ufer machen, und Radtouristen mit kurzen Hosen den Rheindamm befahren können – etwas ungewohnt nach den eiskalten Tagen im Hochgebirge, aber nicht unangenehm. Irgendwann, kurz bevor der Rhein zwischen den steil aufragenden Bergen in Richtung Bodensee abfließt, steht am Wegesrand der Hinweis auf die Seenroute, Veloweg Nr. 9. Unter und über oben schon erwähnte Verkehrsstränge wird der Radtourist durch die Weiten des Rheintals geführt. In Sargans verliert sich die Spur, auch mehrmaliges Umkreisen des Bahnhofs hilft nicht, sie wieder zu finden. So orientiere ich mich auf der, dank parallel verlaufender Autobahn, wenig befahrenen Hauptstraße in Richtung Zürich, in der Hoffnung, in dem schmalen Tal zwischen Rhein und Walensee bald wieder auf die kleinen roten Wegweiser zu stoßen. Das gelingt, wenn auch nicht ganz ohne Einsatz der pfadfinderischen Fähigkeiten. Aber dann: brettflach verläuft der Weg zwischen Obstbäumen und Bauernhäusern, voraus immer in Sicht die imposante Felsenkette des Churfirsten. Die Sonne scheint, Hochspannungsleitungen queren das Panorama, eine Bank am kanalisierten, hier aber renaturierten Flüsschen Seez lädt zur Rast ein. Ein sehr alter Herr kommt auf seinem ziemlich alten Rad angerollt und verwickelt mich in ein Gespräch, das leider wegen seines starken, mangels ausreichender Anzahl an Zähnen noch schwerer verständlichen, Dialekts recht einseitig bleibt. Wir wünschen uns trotzdem einen schönen Tag und gute Fahrt, soviel Sprachverständnis ist vorhanden, und verlassen die Bank in jeweils entgegengesetzter Richtung, ich immer die Felsen des Churfirsten fest im Blick. Wer kennt sie nicht, diese Tage: Man hat sich ein Ziel vorgenommen, das in gemäßigter Entfernung zum Startpunkt liegt. Das bequem zu erreichen ist. In dem mit Übernachtungsquartieren gerechnet werden kann, die die Reisekasse nicht überstrapazieren. Und das landschaftlich reizvoll liegt, so dass ein Spaziergang am Ufer des Sees mit Blick auf die im Abendlicht glühenden Bergspitzen ein Genuss ist. Walenstadt, zum Beispiel, am Ostufer des Walensees. Doch was passiert? Auf Anhieb spricht keines der geöffneten Quartiere das Herz des Reisenden an. Es ist erst vier Uhr, was soll man da den ganzen Nachmittag noch machen? Klar, es sind schon einige Kilometer in den Beinen, eigentlich genug für heute (aber, denkt es entschuldigend, ein paar dieser Kilometer gingen ja bergab, da geht sicherlich noch ’was). Und außerdem: Irgendwo kommt noch ein Gasthof, der einladender aussieht. Und so fahre ich weiter, auf breiter Straße mit abmarkierter Velospur am See entlang. Die Felsen des Churfirsten sind jetzt nicht mehr voraus, sondern rechts zu sehen. Der Gasthof im ersten Dorf hat Ruhetag, der Gasthof im nächsten Dorf hat Ferien. Ein geöffneter Coop-Laden verkauft Nussgipferl und Rivella (das schweizer Erfrischungsgetränk), so dass weder Hungerast noch Flüssigkeitsverlust drohen. Ein separater Velo-/Wanderweg, dessen Benutzung für Radfahrer nur an Wochentagen und Samstags vor 14.00 Uhr gestattet ist, führt über balkonartige Galerien und Brücken mit Auf und Ab über dem Seeufer entlang. Die Berge auf der hiesigen Seeseite sind höher als gedacht, hoch genug, um die Veloroute 9 im Schatten verlaufen zu lassen. Und da ist es jetzt nicht mehr warm, im Gegenteil, das feuchte Glitzern auf den Gitterbrücken des Radwegs verrät, dass hier bald Frost droht. Aber: Bewegung hält warm, also wird weiter gefahren, Weesen, am Westufer des Walensees, ist jetzt das Ziel. Der Radweg verläuft hier über weite Strecken entlang der Autobahn. Die war bisher oben am Hang immer dann zu hören, wenn der Strom der Fahrzeuge zwischen zwei Tunneln für kurze Zeit den Schutz der Berge verließ. Hier nun liegt die Fahrbahn in Richtung Osten komplett im Tunnel, die Fahrspur in Richtung Zürich, westwärts, liegt davor. Kurze Tunnel oder seitlich durchbrochene Galerien wechseln ab mit offenen Straßenstücken. Und um diese Fahrbahn windet sich der Radweg, mal flach direkt neben der Autobahn, mal steil ansteigend sie überquerend, mal in langen Stollen (wohl Relikten aus der Bauphase der Straße) sie unterquerend. Dazwischen am Felsen hängende Velo-Balkon-Wege, deren Benutzung Vertrauen in die schweizer Bau-Ingenieurskunst erfordert. Recht abenteuerlich, der Wegeverlauf, und sicherlich kein ganz leises Vergnügen. Doch heute ist genau dieser Abschnitt der Piste wegen Renovierung geschlossen, der Autoverkehr drängt sich auf der im Tunnel verlaufenden Gegenfahrbahn. Hier rollen nur die Kleinbusse der Straßenarbeiter in Richtung Feierabend, ansonsten herrscht beruhigende Stille. Stille herrscht auch in der Raststätte, die hier die Autobahn überspannt. Schon vor einigen Kilometern auf dem Veloweg als „Velotel“ angepriesen, bin ich gespannt, ob ausgerechnet hier ein standesgemäßes Quartier auf den Radtouristen wartet. Allein die Bezeichnung als „Autobahnrestaurant am Veloweg Nr. 9“ ruft Staunen hervor, und dass es schöne ruhige Zimmer geben soll, glaube ich in der Stille des Baustellen-Feierabends gerne. Dass auf einer Autobahnraststätte „Velo-Parking“ ausgewiesen ist, unterstreicht das Besondere dieses Quartiers. Doch leider musste ich auf Radfahrer-Menu und ruhige Zimmer für 40 Franken verzichten – wegen besagter Renovierung der Fahrbahn blieb das Hotel geschlossen, und vom spätherbstlichen Veloverkehr ist offenbar nicht genug Umsatz zu erwarten.
Also auf nach Weesen, der Gasthof Hirschen hat geöffnet. Und der Seeuferspaziergang? Wird durch ein großes Bier ersetzt. Der Blick durch das Wirtshausfenster geht, mit müden Beinen, auf die in der Abendsonne rotglühenden Bergspitzen. (ps)
Fotos: ps
..hier gab es den Beginn (Teil 1) der Geschichte
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15. Januar 2003 ADFC Frankfurt am Main e. V. |