„Die Kinder sind unsere Kunden von morgen“
Bei Fahrrad Böttgen in Bornheim gibt es eine eigene Kinderabteilung
„Dass wir die Kinderräder ins Untergeschoss verfrachtet haben, hat nichts mit mangelnder Wertschätzung zu tun“, sagt Jürgen Henß. Ganz im Gegenteil, das Segment sei wichtig für den Betrieb, denn die Kleinen sind die Kunden von morgen. Und so gibt es eine eigene Abteilung mit einem breiten Angebot für junge Radler:innen, die ihre ersten Testfahrten direkt auf dem umschlossenen Hinterhof unternehmen können. „Ohne die Hektik des Tagesgeschäfts läuft das einfacher – auch für die Sponsoren, Oma und Opa, die oftmals dabei sind“, meint Henß.
Jürgen Henß und Christiane Tillmann leiten Fahrrad Böttgen gemeinsam, sie eher im kaufmännischen Bereich, er in der Technik. Dazu kommen um die 20 Mitarbeitende, von der Putzkraft bis zum Werkstattleiter, die meisten davon seit vielen Jahren dabei. Man versuche, den Betrieb familiär zu führen, legt Wert auf ein gutes Verhältnis unter den Angestellten. Das scheint sich auszuzahlen – immerhin feiert die Firma in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen.
1924 fing es in der oberen Berger Straße in Bornheim an, über die Jahrzehnte in wechselnden Gebäuden, die zumeist nicht mehr existieren, bis zum heutigen Standort im Hof in der Großen Spillingsgasse. Dort wurde kontinuierlich erweitert, vor vier Jahren die Werkstatt verlegt, Platz geschaffen für die Kinderabteilung, und durch Anmietung einer ehemaligen Keltereifläche konnte der Verkaufsraum nach ausgiebigen Sanierungsarbeiten wachsen. Hinter der Industriehallenfassade in Bornheim tut sich nun ein überraschend weitläufiger Laden auf, mit einem riesigen Angebot aller Fahrradtypen, vom Rennrad über MTB und Trekking-Räder bis zu den genannten Kinder- und Jugendrädern. Und natürlich Pedelecs und elektrisch unterstützte Lastenräder, die für viele Familien inzwischen zum Standard in der städtischen Fortbewegung geworden sind. Allerdings, schränkt Henß ein, verkaufe er immer noch überwiegend „Bio-Bikes“, der E-Anteil liege bei rund 35 %. „Darüber lachen andere Händler“, meint er, gibt aber zu, dass dieser Pedelec-Anteil ein wesentlicher Umsatzbringer sei.
Das bringt das Gespräch auf das Thema Werkstatt und Service. Die Werkstätten der Branche sind ausgelastet, auch bei Böttgen müssen Kunden:innen mit 5-7 Tagen Wartezeit rechnen, um einen Reparaturtermin zu erhalten. Man schicke niemanden weg, repariere alle Kundenräder und auch nicht bei Böttgen gekaufte Markenräder, verweigere sich aber bei Billigprodukten aus Internetkäufen. Das wachsende Leasinggeschäft spiele hier ebenfalls hinein, betont Henß, denn Leasingräder müssen regelmäßig gewartet werden, was zur Auslastung der Werkstatt beiträgt. Acht Arbeitsplätze beherbergt die Werkstatt, gleichzeitig sei es jedoch nicht ganz einfach, qualifiziertes Personal zu finden, ergänzt Christiane Tillmann. Die Ansprüche an die Fachkräfte seien mit der E-Mobilität enorm gestiegen, viele Azubis seien diesen kaum gewachsen. Und trotz bester Zukunftsaussichten fänden sich viel zu wenige, die eine Ausbildung in der Branche anstrebten. „Ohne Fahrrad werden wir die Verkehrswende nicht hinkriegen“, sagt Jürgen Henß, „und dazu benötigen wir auch zukünftig gutes Personal“. Im Bornheimer Laden gibt es das noch, doch auch hier sammelten sie bereits Erfahrungen mit Ausbildungsabbrechern oder gelangweilten Praktikantinnen. „Mangelhafte Mathekenntnisse, kaum Durchhaltevermögen, häufige Krankschreibung“ umreißt Tillmann, die schon über 20 Jahre in der Branche arbeitet, ihre Sicht auf die Lage beim Nachwuchs. Da freue man sich über die langjährigen Mitarbeiter, aber auch, ergänzt sie ehrlicherweise, über die beiden Azubis, die nach ihrer Ausbildung im Geschäft geblieben sind. Solche Fälle gibt es dann doch.
© Institut für Stadtgeschichte / Peter Sauer (5)
Wie sieht Henß die Position von Böttgen auf dem Frankfurter Fahrradmarkt? Die Kundschaft komme überwiegend aus Bornheim und der näheren Umgebung. Der Frankfurter Markt teile sich regional auf, ein Laden aus Sachsenhausen finde seine Kundschaft dort, einer in Bockenheim verkaufe überwiegend in diesem Stadtteil. Darüber hinaus versuche man, bei der Markenauswahl den Markt zu berücksichtigen, sich auf Fahrradmarken zu fokussieren, die nicht direkt in der Nachbarschaft ebenfalls angeboten werden. Natürlich brauche man „Mainstream“, Marken wie Stevens, die eine breite Typenpalette anbieten, die die „Masse“ ausmachen. Aber man wolle sich auch von den Großmärkten auf Borsigallee oder Hanauer Landstraße abgrenzen, versuche, Nischen zu finden. Aktuell sei das mit der Heidelberger Firma Coboc gelungen, die extrem leichte E-Bikes produziert. Schicke Räder, denen man das „E“ kaum noch ansieht und die nur wenig schwerer sind als ein herkömmliches Trekkingrad.
Eine weitere Nische füllt das Schweizer Benno-Bike, ein modernes „Longtail“-Transportvelo, ein Lastenrad mit extralangem Gepäckträger, der auch mit zwei Kindersitzen bestückt werden kann. „Wir versuchen halt, unser Programm sinnvoll und vernünftig abzurunden“, schließt Henß ab.
Nicht ganz glücklich ist man bei Böttgen mit den Rabattschlachten, die zurzeit auf dem Markt geführt werden. „Manchmal geht es zu wie auf einem Basar, es wird auch bei rabattierter Ware noch gehandelt und um ein paar Euro gefeilscht. Aber da müssen wir durch, da hilft alles nichts!“
Für die Förderung des ADFC bedankt sich der Vorstand des ADFC Frankfurt bei „Fahrrad Böttgen“ ganz herzlich!
Die Firma Böttgen unterstützt uns zukünftig beim Vertrieb unserer Mitgliederzeitschrift und bietet sich als Zwischenlager an, in dem die ehrenamtlichen Austräger:innen in den nordöstlichen Stadtteilen die Hefte für „ihren“ Bezirk abholen können. Nach dem Umzug unserer ADFC-Geschäftsstelle nach Hausen können wir damit eine nahegelegene Abholmöglichkeit anbieten. Dafür bedanken wir uns bei Jürgen Henß und Christiane Tillmann.