Das Trikot Es war vor zehn Jahren. Ich war noch berufstätig, kam gerade mit meinem Fahrrad vom Büro und musste an der Ampel in der Eschborner Hauptstraße halten. Vor mir stand ein Rennradfahrer, der sich zu mir umdrehte und den Weg zum Novotel wissen wollte. Als er, ausführlich informiert, sich wieder umdrehte, sah ich, dass er ein Trikot mit der Aufschrift „Rose“ trug. Ich fragte ihn, wo man das Trikot kaufen könnte. Er sagte noch „In Bocholt“, ich „Schade, Bocholt! Da komm’ ich so leicht nicht hin“, dann wurde die Ampel grün und wir setzten uns wieder in Bewegung. In jener Zeit hatten wir in der Radl-Stammtischrunde einen guten Freund, der für uns jedes Jahr eine Tour organisierte, aber wie! Da waren alle Wege abgefahren, sogar bei Zehntagetouren. Da waren alle Sehenswürdigkeiten, die an der Strecke lagen, im Programm. Mit allen Informationen, die man sich nur vorstellen kann. Ob das stillgelegte Eisenhüttenwerk, ein Riemenschneideraltar, das Schiffshebewerk oder die umwerfende Romanik einer mittelalterlichen Kirche – seine Interessen waren breit angelegt und er wollte uns immer teilhaben lassen. Wie haben wir doch von seinem Wissen profitiert! Er hieß Hans Rose. Kennen gelernt hatten wir uns alle 1982 bei der vom Main-Kinzig-Kreis seit 1981 jedes Jahr veranstalteten Radtour auf der Märchenstraße von Hanau nach Bremen. Damals fuhren wir größtenteils auf Dreigangrädern; auch Hollandräder ohne Gangschaltung waren auf der Strecke. Das bedeutete durch den Vogelsberg, den Knüll, den Reinhardtswald und das Weserbergland einige Male absteigen und schieben. Diese zehntägige Radtour mit Begleitbus für unser Gepäck und für das tägliche Picknick hat aus dem Großteil der Mitfahrenden leidenschaftliche Radler gemacht, die sich seither – mit leichten personellen Veränderungen: Es gingen welche weg und andere kamen dazu – jeden Monat bei einem Stammtisch treffen. Bei diesen Treffen ist so manche Sonntagstour ausgeknobelt worden. Aber halt auch große Radreisen, die Hans meisterhaft und sehr gründlich organisierte. Im Laufe solcher Touren bekamen wir regelmäßig Bauchschmerzen, womit wir ihm am Ende der Tour eine Freude machen könnten. Da ist im Laufe der Jahre schon einiges zusammengekommen – aber langsam gingen uns wirklich die Ideen aus. Als ich den Radler mit dem Rose-Hemd sah, wollte ich nun unbedingt so ein Trikot haben. Das wäre doch ein Gag, über den der Hans sich auf jeden Fall gefreut hätte. Er war für jeden Spaß zu haben! Als ich zu Hause ankam, ärgerte ich mich über mich selbst. Warum hatte ich den jungen Mann nicht gefragt, ob er mir das Hemd verkaufen wollte? Ich setzte mich also wieder auf mein Einkaufsrädchen und hechtete so gut es ging zum Novotel, konnte ihn aber nicht mehr sehen. Also ging ich hinein und fragte an der Rezeption nach dem „jungen Mann, der im bunten Fahrradtrikot gerade kürzlich hier hereingekommen sein muss“. Die Dame am Empfang war sofort im Bilde und stellte mir eine Telefonverbindung her. Ich erzählte dem jungen Radfahrer meine Geschichte und bat ihn, mir doch das Trikot zu verkaufen. Da musste er lachen. Er sagte, dass das Trikot über 130 Mark regulär gekostet hätte. Da er es aber zu einem reduzierten Schlussverkaufspreis von 70 DM bekommen hatte, würde er es mir auch zu diesem Preis überlassen, wenn ich nun schon so scharf drauf wäre. Aber gewaschen sei es halt jetzt nicht. Nun hatte ich also das Trikot, aber zu seinem vorgesehenen Einsatz ist es nicht mehr gekommen. Hans Rose ist im August 1998 an Krebs gestorben. Er hat in den letzten beiden Jahren keine Radtouren mehr für uns organisieren können. Seither bin ich im Besitz eines Fahrradtrikots in den schönsten Neonfarben. Ich habe es ein paar Jahre auf mehrtägigen Radtouren getragen, weil es ideal zum Waschen und schnellen Trocknen ist. Gewöhnlich habe ich mich mit dem Hemd unter die Dusche gestellt. Nun bin ich aber doch ein bisschen bejahrt und nicht mehr so ganz flott auf dem Radl. Da komme ich mir in diesem sehr jugendlichen Trikot halt doch ein wenig albern vor. Deshalb will ich es verschenken, denn zum Wegwerfen ist es wirklich zu schade. Es hängt in der Frankfurter Geschäftsstelle des ADFC in der Fichardstraße. Brigitte Rebna |