Vom Rheinfall zum Reinfall
Reisetagebuch einer Radtour von Konstanz bis Kehl
Die ADFC-Ortsgruppe Bad Homburg führt traditionell über Fronleichnam eine Mehrtagesradtour durch. In diesem Jahr fuhren wir mit der Bahn nach Konstanz, von dort aus per Fahrrad über Basel nach Kehl bei Strasbourg und mit der Bahn wieder zurück nach Bad Homburg: Vom Rheinfall von Schaffhausen bis zum Reinfall mit der Bahn
Mittwoch, 2004-06-09,
Bad Homburg bis Konstanz
Wir treffen uns rechtzeitig am Bahnhof Bad Homburg, die DB-Teilnehmerausweise und die Fahrradkarten sind schnell verteilt und die Regionalbahn bringt uns planmäßig an diesem heißen Tag zum Frankfurter Hauptbahnhof. Dort erfahren wir, dass unser Anschlusszug 20 Minuten Verspätung hat. Nach 20 Minuten werden daraus 40, nach 40 Minuten 60, nach 60 Minuten 80. Wir versuchen, zumindest unseren Beitrag zu leisten, um weitere Verspätungen des Zuges zu vermeiden. Wir machen uns über den Wagenstandsanzeiger schlau, dass das Fahrradabteil am Zugende und unsere Sitzplätze am entgegengesetzt liegenden Zugkopf zu finden sind. Die Hälfte unserer Gruppe bleibt mit den 10 Fahrrädern also auf Höhe des Fahrradabteils, die andere Hälfte mit allen Satteltaschen in Höhe unseres Waggons der ersten Klasse. Nach 80 Minuten fährt unser Zug endlich ein – mit vertauschtem Wagenstand! Eine Minute, nachdem der Zug zum Stillstand kam und alle Passagiere auf der Suche nach ihren Sitzplätzen über den Bahnsteig irrten, merkte dies auch die Zugaufsicht und wies durch einen Ausruf auf die umgedrehte Wagenreihenfolge hin. Wir eilten in der Zwischenzeit schon mit jeweils zwei Rädern an den Händen durch die stehend-stickig-heiße Bahnhofsluft zum entfernten Zugende, während unser Gepäck vorsichtshalber innerhalb des Zuges in entgegengesetzter Richtung durchgereicht wurde. Der nächste Hammer: in unserem Waggon der ersten Klasse war die gesamte Bordelektrik ausgefallen. Die WC-Spülung funktionierte nicht, bei Tunneldurchfahrten wurde es in den Abteilen stockdunkel und – das Schlimmste von allen – die Klimaanlage arbeitete nicht. Die Luft stand während der Fahrt durch die sonnendurchglühte Oberrheinebene im Waggon. Spätestens nachdem einigen Mitreisenden unter diesen Umständen kotzübel geworden war, verzichtete der größte Teil der Gruppe freiwillig auf diese „Privilegien“ der ersten Klasse und verzog sich in Waggons mit funktionierender Bordelektrik. Mit einer Stunde Verspätung trafen wir endlich in Konstanz ein ...
Donnerstag, 2004-06-10,
Konstanz bis Lienheim
Einige Gruppenmitglieder machen noch vor dem Frühstück einen Spaziergang zum Bodensee. Gegen 09:00 sind wir fast startklar vor unserem Domizil für eine Nacht, dem Hotel Graf Zeppelin. Nach einer kurzen Stadtrundfahrt haben wir schnell Schweizer Staatsgebiet erreicht. Am Südufer des Untersees, auf sanft ondulierten Radwegen mit wunderschönen Aussichten auf den See, erreichen wir Stein am Rhein. Über einen Waldweg in einem kleinen Grenz-Höhenzug kehren wir wieder nach Baden-Württemberg zurück. In Gailingen lädt zur Mittagszeit das klare Wasser des noch jungen Rhein uns im Strandbad zur Abkühlung in Variationen ein: Aviva geht komplett baden, Birgit belässt es bei einem Fußbad, bis ein böses Motorboot die Wellen bis zu ihren Höschen schlagen lässt, und Andrew kühlt sich nur innerlich. Nach kurzem Proviantfassen in Schaffhausen (wieder in CH) gegen 15:00 machen wir direkt am Rheinfall eine Nach-Mittagspause. Ein knackiger Aufstieg vor Jestetten – und wir bleiben im Prinzip auf der Höhe oberhalb des Rheintals bis Lienheim. Nach insgesamt achtmaligem Passieren der deutsch-schweizerischen Staatsgrenze und 85 km in der Hitze erreichen wir unser Tagesziel. Mit dem Landgasthof Hirschen haben wir – so unsere einhellige Meinung – eine gute Wahl getroffen: aufmerksame und freundliche Bedienung, gute Küche und ansprechende Zimmer.
Freitag, 2004-06-11,
Lienheim bis Basel
Start gegen 09:15 bei geschlossener Wolkendecke. Ab Waldshut-Tiengen nimmt der Autoverkehr deutlich in Radwegnähe zu. Kurz nach dem Überqueren der Wutach wird unsere Gruppe kurzzeitig einer Zellteilung unterworfen, aber – Handy sei Dank – auch schnell wieder zusammen geführt. Vor Laufenburg setzt Nieselregen ein und, als ob diese Beschwernis alleine nicht ausreicht, bietet die Routenführung auch noch Schikanen. Dazu müssen wir bei strömendem Regen noch zwei Reifenpannen beheben. Als beim zweiten Reifen nach erfolgtem Schlauchwechsel beim Aufpumpen der neue Schlauch und der Mantel (!) platzen, haben einige aus der Gruppe doch die Nase voll und fahren mit der Bahn von Schwörstadt bis Basel. Der harte Rest radelt bis zur Jugendherberge Basel weiter. (Tageskilometerstand: 89 km). Kommerzielles Fazit: Basel ist teuer. Für die Unterkunft in der Jugendherberge zahlen wir 34 _ – pro Person! Gelegenheiten zum Trocknen der Kleidung fehlen und die Luft in den kleinen Zimmern ist schnell stickig. Öffnet man dagegen das Fenster, lässt das Rauschen des St.-Alban-Kanals direkt unterhalb der Zimmer kaum an Einschlafen denken. Und das Abendessen in einem chinesischen Schnellimbiss war auch nicht gerade preiswert ...
Samstag, 2004-06-12,
Basel bis Rust
Start an der Jugendherberge gegen 09:15. Schnell verlassen wir das Baseler Stadtgebiet und haben bald die Ruhe des Rheinuferwegs für uns. Bei Neuenburg machen wir gegen 12:30 eine ausgedehntere Mittagspause. Vorbei an wunderschönen idyllischen Rhapsodien in grün-blau auf fast brett-flachen Schotterwegen bis Breisach. Birgit ist enttäuscht: wir kehren dort in einem Eiscafe ein, das kein Spaghetti-Eis im Angebot hat! Kurz danach weicht der Weg vom Rhein ab und führt uns durch Wälder und Felder bis Rust. Vorbei am Rummel des Europa-Parks laufen wir nach ca. 104 km in unserem Nachtquartier, dem Hotel Arndt, ein. Gerade noch rechtzeitig, denn unmittelbar nach unserer Ankunft erleben wir den ersten Regen des heutigen Tages. Viele Mehrtagesgäste des Europa-Parks machen die Tischsuche für's Abendessen etwas schwierig. Und das Aufeinanderprallen von Vertretern der Fun-Gesellschaft mit Zigarettenrauch und Techno-Beat mit uns, die Rekreation Suchenden, bleibt auch nicht ganz konfliktfrei ...
Sonntag, 2004-06-13,
Rust bis Bad Homburg
Gegen 09:20 Start in einen regenträchtigen Tag. Auf dem Rheinuferweg begegnet uns immer mal wieder der natürliche Feind des gemeinen Radlers, der Cygnus olor, ein Höckerschwan, bei der Verteidigung seiner Jungen mitten auf dem Radweg. Bei überraschend kühlem Regen radelt es weiter bis Kehl, um bei unserer Ankunft am Bahnhof nach ca. 45 Tageskilometern gegen 12:45 dann wieder die Sonne durchbrechen zu lassen. Es ist so gemein! Die Zeit bis 15:15, kurz vor Abfahrt unseres Zuges, steht zur freien Verfügung. Einige bleiben am Bahnhof, andere suchen ein chinesisches Restaurant auf und Aviva radelt gepäckbefreit mal kurz durch Strasbourg. 15:35: Der Zug in Kehl ist restlos überfüllt, alle Fahrräder sind irgendwie reingequetscht. Nur mein Liegerad steht noch auf dem Bahnsteig, als der Zugführer sagt, ich müsse zurück bleiben und mit dem nächsten Zug fahren. Meine Erwiderung, ich sei der Reiseleiter und habe alle Zugtickets, überzeugt ihn eines Besseren. Das Wechseln in Appenweier auf den Bahnsteig Richtung Karlsruhe ist relativ unkompliziert, aber dann ... Der Zug nach Karlsruhe rollt ein. Das Radabteil ist überladen, die Zugangstür zum Abteil ist schmal und teilweise müssen Fahrräder kurzzeitig erst aus dem Zug gehoben werden, um Platz zum Entladen anderer Räder zu schaffen. Kein Wunder, dass bei diesen Bedingungen unser Zug eine Verspätung einfährt, die es unmöglich macht, in Karlsruhe den geplanten Intercity mit den reservierten 10 Fahrradstellplätzen und unseren reservierten Sitzen in der ersten Klasse zu erreichen. In Karlsruhe gibt es dann nach kurzem Krisenmanagement den Vorschlag, zunächst mit der S-Bahn bis Heidelberg und danach mit einem Regionalzug nach Frankfurt zu fahren. Wir beißen in den sauren Apfel. Immerhin haben beide Züge geräumige, fast leere Fahrradabteile und bald legt sich die Hektik. Nach der Ankunft am Bad Homburger Bahnhof werden die Spuren der Umladeaktionen dokumentiert und die letzten Kilometer zur heimatlichen Wohnung zurück geradelt.
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