Entlang der Alpen: Von Lindau nach München
Auf die Radroute Bodensee-Königsee aufmerksam geworden sind wir, als wir vom Inn bei Rosenheim erstmals ein kleines Stück geradelt sind. Mehr oder weniger zufällig war das – aber die Strecke hatte bei strahlendem bayerischen Wetter einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und wir beschlossen, mit mehr Zeit wieder zu kommen. Gaby: Ostern 2003: Jürgen hat die ganzen Schokoladeneier schon am Wochenende vorher verdrückt, unserer Radtour steht nun nichts mehr im Wege. Die Route führt über insgesamt gut 400 km und 3300 Höhenmeter immer entlang der Voralpen von Lindau am Bodensee bis zum Königssee im Berchtesgadener Land im äußersten Südosten Deutschlands. Wir haben nur vier Tage Zeit und wollen den ersten Teil über 230 km und etwa 1800 Höhenmeter fahren: Quer durch die Hügellandschaft des Allgäus, entlang zahlreicher Seen und an Schloss Neuschwanstein vorbei ins Murnauer Moos bis in die Nähe von Garmisch-Partenkirchen. Von dort ist es dann nur noch eine kleine Tagesetappe durch das Hügelland rund um Bad Tölz. Am Gründonnerstag geht es los. Von Mainz bringt uns der Intercity nach Lindau; der Hauptbahnhof ist in der Altstadt auf der Insel, direkt am sehenswerten Hafen und in unmittelbarer Nähe zahlreicher Hotels. Schon kurz vor der Ankunft hat man den ersten Blick auf die noch leicht schneebedeckten Berge im österreichischen Vorarlberg. Dieser Blick sollte das immer aufs neue faszinierende Leitmotiv der Tour werden. Das Frühstück mit Panoramablick auf den malerischen und sonnigen Hafen von Lindau sorgt für die richtige Laune und Aufbruchstimmung. Es ist frisch, aber nicht kalt, im Laufe des Tages können wir sogar die langen Hosen ausziehen. Es geht von Lindau immer dem Ostwind entgegen. Wir fahren zunächst durch eine offene Hügellandschaft, in der Obst angebaut wird. Nach etwa 45 km haben wir die meisten Steigungen des Tages (rd. 700 Hm) hinter uns, und es bieten sich die ersten Blicke auf die Allgäuer Alpen mit ihren Schneekappen. Schon jetzt fragen wir uns, wieso wir eigentlich so selten etwas von dieser – übrigens ganz hervorragend ausgeschilderten – Tour gehört oder gelesen haben. Satt sehen können wir uns an diesen Bergen nicht, alle paar Kilometer wechselt die Perspektive, und wir entdecken immer wieder neue Gipfel. Das können wir auch deshalb so richtig genießen, weil es für den Rest der Etappe recht flach durch Oberstaufen nach Immenstadt geht, unserem ersten Ziel nach 70 km. Gaby: Kaum wirds flach, steigt die Mountainbiker-Dichte: hip gedressed und mit coolen Sonnenbrillen. Irgendwie muss ich doch nochmal nachschauen, ob es noch eine mir bisher unbekannte Bedeutung von „mountain“ gibt... In Immenstadt ein Zimmer in der Nähe des Marktplatzes zu bekommen, ist hier genauso wenig ein Problem wie in den anderen Orten. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass das Allgäu ein Feriengebiet ist – die Preise sind dort nun mal andere als in Nordhessen, und die Bayern lassen immer noch keine Senior-Mitglieder in ihren Jugendhergen übernachten. Billiger ist es in kleinen Orten oder auf dem flachen Land, dafür sitzt man abends dann dort fest. Dagegen bietet Immenstadt eine nette kleine Altstadt, und Essen kann man dort auch sehr ordentlich. Spezialtipp von Gaby: Der Krustenbraten in der „Traube“! Weiter geht es am nächsten Tag vorbei am Rottachsee über Nesselwang nach Hopfen am Hopfensee (50 km, 700 Hm). Mit dem Ausblick ist es heute nicht weit her, die Berge verstecken sich im dichten Nebel. Der kalte Ostwind zwingt uns in Handschuhe und dicke Klamotten. Warm wird's immer wieder an den zahlreichen giftigen Steigungen, die ihren Höhepunkt in Memersch auf 1.000 Meter finden. Dafür ist es auf den rauschenden Abfahrten gleich wieder kalt. Gaby: Jürgen nörgelt und nicht mal die morgens in der Bäckerei besorgten Quarkteig-Osterhasen können ihn aufheitern. Trotz allem gefällt uns auch diese Strecke, und die Hotelsauna zum Aufwärmen kommt sehr gelegen. Hopfen ist ein kleiner Kur- und Touristenort an der „bayerischen Riviera“, in dem man nicht wirklich bleiben muss. In Füssen jedoch sieht es mit Übernachten schlecht aus; dafür sorgt das Musical über den bayerischen Märchenkönig Ludwig II. Dennoch ist die Altstadt Füssens sehenswert, wie wir am nächsten Morgen bei einer schnellen Rundtour feststellen. Nach wenigen Kilometern passieren wir das Schloss Hohenschwangau und das Märchenschloss Neuschwanstein. Wer hinauf will, sollte früh aufstehen, sonst muss er mit allen anderen (Japanern) Schlange stehen. Dafür ist der Himmel klar, die Sonne scheint, und bald können wir die langen Hosen wieder ausziehen. Der Blick auf die Berge ist fantastisch. Wir verlassen das Allgäu und kommen in den Wald der Ammergauer Berge, wo wir erstmals längere Strecken über Schotter- und Waldwege fahren, zwei schmale Bäche (Gaby: Für nasse Füße hat’s gereicht...) überqueren und die Räder durch einige Schneeflecken schieben, die sich im Schatten der Bäume gehalten haben. Durch verschiedene „Moose“, so der Name für die ehemaligen Hochmoore, geht es in großen Schlangenlinien ins Werdenfelser Land nach Eschenlohe (62 km, wenig nennenswerte Steigungen). Dort wollen wir eigentlich nur im sonnigen Biergarten etwas trinken, entschließen uns aber zum Bleiben. So kommen wir zu leckeren Käsespatzn und Maultaschen und zum „Zuckerpupperl“, einem Stück der ortsansässigen Theatergruppe. Gaby: Wieder mal wird mir klar, dass frau in Bayern nicht ohne Dirndl in der Ortlieb-Tasche übers Land fahren sollte. Den „Alten Wirt“ können wir guten Gewissens empfehlen. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur Zugspitze bei Garmisch-Partenkirchen oder zum Ammer- und zum Walchensee. Ein guter Ausgangsort für Touren, und einen Zug nach München gibt es auch. Uns führt aber der Weg in eine andere Richtung, nach Bad Tölz. Es geht durch eine Landschaft, die wie ein überdimensionierter Golfplatz aussieht, aber doch echt ist. Wie beim „Bullen von Tölz“ eben. Vorbei geht es am Kochelsee und dem Kloster Benediktbeuern, dem Inbild eines bayerischen Klosters (Gaby: Natürlich mit Biergarten, in dem es aber nur Donnerstags Weißwürscht gibt), durch eine sanfte und saftig grüne Hügellandschaft nach Bad Tölz (50 km). Unsere Tour ist hier zu Ende. Etwas wehmütig steigen wir in die Bayerische Oberlandbahn, die uns in einer Stunde zum Münchner Hauptbahnhof bringt. Von dort geht es dann am nächsten Tag mit dem Zug zurück nach Frankfurt. Als Fazit bleiben eine sonnenrote Nase und das sichere Gefühl, eine der schönsten, best-beschilderten und einsamsten Strecken geradelt zu sein, die wir in Deutschland kennen. Und wir haben uns ganz fest vorgenommen: Den zweiten Teil werden wir bei der nächsten Gelegenheit fahren. Die Abfahrzeiten für die Züge haben wir schon gecheckt. Jürgen Oberfrank, mit Kommentaren von Gaby Wittendorfer
Tipps für die Tour
Vom Galli Verlag gibt eine detaillierte, spiralgebundene Routenbeschreibung mit Karten im Maßstab 1:50.000. Die dort beschriebene Route ist mit der ausgeschilderten weitgehend identisch, die Beschilderung wird aber seltsamerweise nie erwähnt. Sei’s drum, wir kamen mit beiden hervorragend zurecht. Informationen gibt es unter www.bayerninfo.de , wo das „Bayernetz“ für Radler in groben Zügen beschrieben wird. Aber auch die üblichen Radkarten im Maßstab 1:150.000 sind völlig ausreichend. Noch ein Wort zum Wetter: Wir waren Ende April unterwegs, da kann noch fast alles passieren. Schließlich bewegt man sich nahe der Alpen und meist auf über 500 Meter Höhe. Es ist deutlich kälter als am Main. Frost hatten wir keinen, aber es war zeitweise doch ziemlich frisch. Wenn die Sonne scheint, kann es schnell sehr warm werden (Sonnenbrandgefahr!). Das Licht ist dann auch viel heller als weiter nördlich. Die Strecke ist keine richtige Bergtour, aber sie ist auch nicht flach. Steigungen mit 12 Prozent kommen häufiger vor, sind aber selten länger als einige hundert Meter. Der Großteil der Strecke führt über ruhige, hervorragend asphaltierte Nebenstraßen, nur knapp zehn Prozent machen Schotter- und Waldstrecken aus. |
2. September 2003 ADFC Frankfurt am Main e. V. |