Nordhessen – ondulier
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Ein Theaterstück in drei Akten von Kurt Velo-Sax
Es wirken mit:
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Theda
Tourenleitung ruhig, besonnen und ausgleichend
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Annette
goldgelockter Engel, immer gut gelaunt
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Doris
ernst und bestimmt im Auftritt
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Dorothee
nach 30 Jahren immer noch verliebt in Hartmut
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Ellen
ein Feuerwerk von Energie und guter Laune
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Uta
weiß, was sie leistet und schweigt
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Hartmut
charmanter Radler, den nichts aus der Ruhe bringt
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Horst
passt nicht auf seinen Zimmerkollegen Werner auf
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Reiner
versteht die charmante Unterhaltung
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Roland
Rastloser aus dem Eisenbahnwaggon
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Rudi
der Gemütliche, steigt am Berg auch mal ab
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Werner
findet den Weg nach Korbach alleine
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Volker
wird von Akt zu Akt lockerer
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Günter
Beobachter aus der Liegeradperspektive
1. Akt – Von der Bahn und anderen Erfahrungen
Nein, man soll es nicht für möglich halten. Die Beschäftigten der Bahn AG machen doch das Gegenteil von dem, was ihr Chef Mehdorn von ihnen erwartet. Gleich zwei Radlergruppen werden in einem Zug samt ihren Fahrrädern von Frankfurt nach Nordhessen befördert. Alle Räder können bestens verstaut werden. Sogar ein einzelner Radler findet für sein ängstlich umhegtes Velo einen sicheren Platz. Und dieser eigentlich als selbstverständlich zu erwartende Service wiederholt sich doch glatt wieder auf der Heimreise.
Wir wollen drei Tage durch das Nordhessische und Waldecker Land radeln und fahren samstags um 8:10 Uhr zunächst mit der Bahn nach Wabern. Eine erste Etappe zum eingewöhnen ist schlappe 12 km lang. Sie bringt uns in die schöne Fachwerkstadt Fritzlar. Nach weiteren 31 km bergauf und bergab (Hartmut nennt es „onduliertes Gelände“) sind wir in Wolfhagen, auch ein schönes Fachwerkstädtchen. Unterhalb der Kirche vor dem Cafe entbrennt ein Glaubenskrieg darüber, ob wir in der Sonne sitzen wollen oder ob Schatten oder Halbschatten für die zarte Haut doch geeigneter wäre. Letztlich setzen sich individuelle und völlig verschiedene Ansichten durch und das Cafe ist großflächig von uns besetzt. Wir lassen uns all’ das schmecken, was uns geboten wird. Bis auf den Capuccino schmeckt das Bestellte gut. Wir sinnieren noch darüber, dass wir zwischen Fritzlar und Wolfhagen ein Stück durch das Elbetal (1) gefahren sind, da wird zur Weiterfahrt gepfiffen. Schnell noch etwas Sonnenschutz auftragen und nach einer Runde durch Wolfhagen fahren wir die letzten 21 km am Twistesee vorbei nach Bad Arolsen. Dort beziehen wir ein kleines verträumtes Hotel – eine alte Villa. Schnell sind die Zimmer belegt, denn wir haben Hunger. Es ist 18:00 Uhr, ab 19:00 Uhr wollen wir zum Italiener essen gehen.
Beim Italiener finden alle Platz an einem Tisch. Wir bestellen und warten. Einige haben Vorspeisen bestellt und bekommen diese auch bald. Die Vorspeisenteller sind schon abgeräumt. Wir warten. Dann, endlich, gegen 22:00 Uhr kommen die ersten Speisen. Nach und nach erhalten alle Schrumpfmägen das, wonach sie verlangt haben. Nur Volker wartet noch. Kann ein schmales Gesicht noch schmaler und länger werden? Ja, es kann! Die Bedienung muss die Veränderung Volkers bemerkt haben, jedenfalls erhielt auch er noch etwas zu essen. Ellen nutzte die Situation, und brachte die Bedienung mit Charme und Überzeugungskunst dazu, eine Runde Fernet Branca auf Kosten des Hauses zu bringen.
Auf dem Heimweg zum Hotel zweigt Roland noch zu einem „Rollschoppen“ ab, weil er die erste Nacht sowieso nicht schlafen kann. Theda und Günter nimmt er gleich mit. Ellen und Reiner entziehen sich durch den Wunsch, sich das nahe gelegene Schloss noch einmal anzusehen. Doch bald kommen sie zu der kleinen Bar zurück, denn sie haben ein Lokal mit Außenbewirtschaftung gefunden. Dort halten wir es bei angenehmer Temperatur bis nach 24:00 Uhr aus. Zurück im Hotel verspricht Ellen, uns am Morgen um 7:30 Uhr zu wecken.
Ende des 1. Aktes.
2. Akt – Von Einem, der nicht auffallen wollte
Ellen’s Weckdienst funktioniert: Als Reiner und ich zum Frühstück nach unten gehen wollen, klopft sie an unsere Tür. Wir nehmen sie gleich mit. Das nette an ***-Touren ist die Gemütlichkeit, mit der so eine Tour beginnt. Wir frühstücken lange und gut. Um 9:30 Uhr sind wir bereit zur Abfahrt – und los geht’s. Unterwegs finden wir einen Edeka-Laden, der am Sonntag geöffnet hat. Hier wird der Proviant für das Picknick am Edersee komplettiert. Eine Stunde nach dem Start und nach 12 km zählt Theda kurz vor einem Waldstück ihre Schäfchen. Sie kommt auf 13, sich mitgerechnet. Am Hotel waren wir noch 14 – Werner fehlt. Plötzlich steht er im Mittelpunkt unseres Interesses. Was tun? Soll Jemand zurückfahren? Theda schaltet ihr Handy ein und wir fahren weiter. Werner wird unser nächstes Ziel wissen: Korbach. Kurze Zeit später klingelt Theda’s Handy. Werner hat den direkten Weg nach Korbach genommen, nachdem er uns bereits vor dem Hotel verloren hatte.
In Korbach machen wir nach etwa 21 km eine Rast auf einem kleinen Platz mit Brunnen und Hochpranger. Mit Werner fahren wir weiter. Auf der Strecke geht mir ein Lied nicht aus dem Kopf. Es muss was mit dem Gelände zu tun haben. Wenn ich genug Luft habe, singe ich leise: Auf und nieder, immer wieder... Bei Marienhagen erklimmen wir den für heute höchsten Punkt. Ab da geht es zum Edersee nur noch bergab. Mein Tachometer zeigt eine Spitzengeschwindigkeit von 57,7 km/h (passive Rollgeschwindigkeit). Am Edersee machen wir 75 Minuten Picknick. Einige Nixen gehen baden, natürlich auch einige männliche Tourenteilnehmer. Auf der letzten Etappe nach Frankenberg fällt Werner erneut und wiederholt auf: zuerst vergisst er nach einer kleinen Trinkelpause (2) seine Kappe und anschließend fällt mehrmals seine Kette vom Zahnkranz. Nach Frankenberg fahren wir noch ein langes Stück bergab – mit einem wunderbaren Blick auf die Silhouette des Rothaargebirges. In Frankenberg – es ist 19:00 Uhr – reservieren wir im Goldenen Engel für 20:00 Uhr. Nach einer Stunde sitzen wir geduscht, gefönt, erwartungsfroh und hungrig auf dem schönen Platz vor dem Gasthaus. In Nordhessen sollte man schon zur Mittagszeit das Abendessen bestellen. Wir tun es erst jetzt und bekommen so gegen 22:30 Uhr das, was die Küche freiwillig hergibt. Adlo, der Wirt versucht uns zu trösten. Er ist einer von uns, aus dem Rhein-Main-Gebiet, genauer: aus Frankfurt, präzise: aus dem Nordend. Und sein Vater ist Wirt der Kupferkanne in der Falkstraße. Das stimmt uns versöhnlich. Und als Roland auf der Getränkekarte einen „Orgasmus“ entdeckt, den er sogleich für die holden Radlerinnen bestellt, schlägt die Stimmung zeitweilig ins ekstatische um (3). Die letzten Nachtschwärmer erreichen das Hotel gegen 1:30 Uhr. Ihnen kann nichts passieren, denn Theda ist ja bei ihnen.
Ende des 2. Aktes.
3. Akt – Vom Wetter, der Sackpfeife und einem Wirt auf der Überholspur
Das Hotel Sonne, direkt hinter dem schönen Rathaus gelegen, ist ein guter Tipp. Dort werden die Fahrräder fast noch besser untergebracht als die Radler. Unsere Räder übernachteten jedenfalls in einem Saal des Hotels, auf Marmor gebettet. Sie machen heute einen ausgeschlafeneren Eindruck als ihre Fahrer. Nach dem reichhaltigen Frühstück sehen wir uns noch die Kirche an, die im Mittelalter einen Bildersturm erlebte – alle Statuen sind entfernt oder kopflos. Auch das Rathaus findet unser Interesse, besonders die Schirn – die Markthalle im Erdgeschoss. Sie bietet Ellen und Dorothee den Resonanzraum für ihre Sirenenklänge und Lieder. Wir stehen draußen und genießen das Klangerlebnis. Dann starten wir zur letzten Etappe. Heute soll es hoch hinaus gehen. Theda will uns über die Sackpfeife jagen. Schon nach wenigen hundert Metern müssen wir unsere Regenkleidung anziehen. Wir fahren in eine schwarze Wetterwand. Es regnet bis gegen 13:00 Uhr. Bei Battenberg wird erstmals über den Sinn der Sackpfeife diskutiert. In Rettinghausen fällt dann die Entscheidung, die Sackpfeife „links“ liegen zu lassen. Theda improvisiert eine Alternativroute nach Marburg, in die sie geschickt noch einige Steigungen einbaut. Auf der Suche nach einer Gaststätte landen wir in Wollmar vor dem geschlossenen Landgasthof „Zur Linde“. Es ist halt Montag. Wir stehen ratlos davor als ein BMW-Fahrer vorfährt, wie nur BMW-Fahrer fahren können. Es ist der Juniorwirt, der schnell bereit ist, für uns zu öffnen. Mit Faustschlägen an die Tür will er die Mitbewohner aus ihrer Ruhe wecken und zur Mithilfe bewegen. Letztlich kommt sein Vater heraus, ein gewichtiger Landschenk. Wir bekommen Pizza – sechs vegetarische und der Rest á la carte. Zum Abschied erklärt uns Junior noch den Weg zur Lahn. Wir fahren los und fühlen uns nach wenigen Minuten wie im Märchen „Der Hase und der Igel“. An einer Abzweigung steht der BMW-rasende Wirt und passt auf, dass wir den richtigen Weg einschlagen. Der Rest ist für uns Routine. Wir erreichen Marburg so rechtzeitig, dass noch ein kleiner Rundgang möglich ist. Die Zugfahrt verläuft ruhig und komfortabel – die Bahn sei gepriesen. Am Hauptbahnhof gibt es einen gefühlvollen Abschied, gepaart mit der Hoffnung, sich beim Nachtreffen wieder zu sehen. Ein Bericht für das „ADFC Frankfurt aktuell“ wird vorausgesetzt.
Ende des 3. Aktes.
1) Hier ist es eine andere Elbe,die nicht so groß ist. Ehrlich gesagt: ich habe sie gar nicht gesehen.
2) Eine Wortschöpfung von Culty-Christian, einem wohl bekannten Tourenleiter.
3) Die Zusammensetzung des „Orgasmus“ kann bei Roland oder Adlo erfragt werden.
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