Der
Vulkanradweg –
ein echtes Schmankerl
Eine erinnerungswürdige Tour der Nordwestgruppe
Fünf TourenleiterInnen für eine Vier-Tage-Tour, das gibt’s sicher nicht oft. Doch der Aufwand hat sich gelohnt. Zwei Wochen nach der Ankündigung in ffa 1/2001 waren die 16 Plätze ausgebucht, kurze Zeit später mussten wir die Teilnehmerzahl auf 22 ausweiten. Trotzdem kamen mindestens zehn weitere Interessenten zu spät und mussten mit einem Platz auf der Warteliste vorlieb nehmen. Nur wenige davon durften kurzfristig nachrücken.
Bei einem Vortreffen im "Adler" in Ginnheim lernte sich das Gros der TeilnehmerInnen sehr unterschiedlichen Alters kennen.
Für 22 Räder im RE nach Fulda gleichzeitig Platz zu reservieren, stellte sich als unmöglich heraus. Wir schickten also sieben Frühaufsteher vorzeitig auf die Reise, der Rest folgte eine Stunde später. Svens Zähigkeit lohnte sich: statt für zunächst genannte DM 16 Reservierungsgebühr pro Rad durften alle Vehikel kostenlos auf die Bahnfahrt gehen, deren Eigentümer zum "Schönen Wochenende-Tarif". Freiwillig rückten die Bahnbediensteten dieses Angebot nicht heraus, dazu bedurfte es bohrender Nachfragen.
In Fulda bedurfte es einiger Überwindung, den überdachten Bahnsteig zu verlassen. Das Erinnerungsfoto beim bischöflichen Palais war eher ein Stoßgebet um Nachbesserung des Wetterberichtes. Kaum einen Kilometer weiter schon der erste Platten. Der Auftakt liess nichts Gutes erahnen. Die wasserdichte Kleidung wurde einer harten Prüfung unterzogen und hat den Test bestanden.
Schon bei der Ruine Wartenberg lagen wir hinterm Zeitplan. Trotzdem war die Führung durch den Leiter des dortigen Geschichts-Vereins wichtig als Einblick in die historischen Zusammenhänge der Gegend. Die Burg wurde im 13. Jh., nur 45 Jahre nach ihrem Bau, durch einen Fuldaer Abt, ob seiner Leibesgröße "Fingerhut" genannt, zerstört. Die massiven Steine waren den umliegenden Dörfern willkommenes Baumaterial.
Nach unfreiwillig verlängerter Rast in Lauterbach konnte uns Kai, ehemals Stadtverordneter der Lauterbacher Grünen, einen Eindruck von dem entzückenden Städtchen vermitteln. Ein professioneller Stadtführer hätte es nicht besser gemacht. Wo jemand seinen Strumpf verloren haben soll, gibt’s noch kombinierte Zwei-Richtungs-Geh-und-Radwege von 1,20 m Breite. Aber kurz vor der Wahl galt das Aufstellen eines ordentlichen Fahrradständers vor dem Rathaus für den alten und neuen CDU-Bürgermeister immerhin schon als wählerwirksam.
Bei Regen, Gegenwind und (max. 4 %) Steigung schnell weiter über den Vulkanradweg in unser Quartier im 10 km entfernt gelegenen Herbstein. Freundlich der Empfang im Gästehaus der Caritas, wo wir in adretten Blockhütten für drei Nächte unterkamen. Gepäck abgelegt und gleich zur nächsten Führung: dieses Mal durch Herbstein, eine ehemals katholische Enklave im protestantischen Vogelsberg. Sogar die in Felsen gehauenen Gewölbe und Fluchtgänge unter dieser mittelalterlich angeordneten Stadt durften wir betreten.
Als wir in der Frühe aufwachten, graute der Morgen – und uns: die Landschaft zeigte sich kalt und regenverhangen. Entfernung und Schwierigkeit der Route zu den Obermooser Teichen hatten wir unterschätzt. Mit erheblicher Verspätung trafen wir unseren orts- und sachkundigen Führer Ernst Happel. Der schwang sich aufs Rad, um uns als pensionierter Förster die Einmaligkeit des vor kurzem vom NABU gekauften Naturschutzgebietes nahe zu bringen.
Endlich verzog sich der Regen, die Sicht wurde besser. In Deutschland seltene Vogelarten wie Braunkehlchen und Haubentaucher brüten dort am verlandenden Ufer eines jahrhundertelang als Fischteich genutzten Gewässers. Sogar die sonst nur in Mecklenburg gesichteten Fischadler drehen hier ihre Runden, wenn sie auch (noch) nicht brüten. Kormorane und Graureiher finden ausgiebig Nahrung im seit Jahren nicht mehr abgefischten Teich. Allerdings hat der NABU noch kräftig an der Finanzierung seiner Erwerbung zu schlucken und braucht fast eine halbe Million Mark an weiteren Zuschüssen und Spenden.
Im "Deutschen Haus" in Bermutshain (482 m ü.M.) zeigte man sich gar nicht erschrocken über unseren wetterfesten Aufzug. Während des sehr guten und preiswerten Mittagessens erfuhren wir noch ein paar Takte über den Kauf der ca. 50 Hektar Naturschutzgebiet. Gut gestärkt verliessen wir den gastlichen Ort, die Regenklamotten erstmalig in der Satteltasche: die Sonne kam zaghaft hervor. Herr Happel führte uns zum NSG "Magerrasen Duttelswiesen", das aber angesichts der vorangegangenen Schlechtwetterperiode seine Schätze wirklich nur mager präsentierte. Im rauen Vogelsberg, in dem es einem Sprichwort zufolge neun Monate Winter ist und den Rest kalt, ist die Vegetation um fast vier Wochen hinter der des Rhein-Main-Gebietes zurück.
Dafür lernten wir etwas aus der EG-Absurditätenkiste: Bei Erteilung der Milchquoten wurden nur Vollerwerbslandwirte berücksichtigt, weil die davon leben müssen. Die bäuerliche Struktur im Vogelsberg bestand fast nur aus Feierabend-Bauern, mit deren Milchlieferungen die regionale Molkerei florierte. Nun müssen die Wiesen aber weiterhin gemäht werden – holländische Landwirte kaufen das Heu, füttern ihre Kühe damit und liefern die Milch an die Vogelsberg-Molkerei. Die holländischen Bauern bekommen Unterstützung von der EG für die zusätzlichen Heu-Transportkosten, und die Molkerei bekommt für den weiten Transportweg der Milch ... na was wohl?
Ein bisschen reicher an Wissen um die Probleme der Region und des Naturschutzes, schwangen wir uns auf die Räder zur nächsten ErFAHRung. Wir radelten auf steilen Feldwegen bis Hartmannshain, wo sich auf dem Weissen Stein (607 m ü.M.) ein Windpark angesiedelt hat, der – schön oder nicht – mit Windkraftanlagen den häuslichen Energiebedarf der Gemeinde abdeckt. Hier ist zur Zeit der "Einstieg in den Vulkanradweg" zum gut 30 km entfernten Lauterbach, angelegt auf der Trasse der ehemaligen Eisenbahnstrecke von Lauterbach nach Stockheim. Es bedurfte langer Debatten, bis die Politiker dem steten Drängen zahlreicher BürgerInnen nachgaben (Frankfurter RadlerInnen hörten es mit Neid) und ca. 2 Millionen DM investierten. Sogar die Naturschutzverbände waren teilweise dagegen. Letztlich aber siegte die Hoffnung auf mehr Tourismus in diesem sonst nicht gerade verwöhnten Gebiet.
Dank hälftiger Zuschüsse aus Wiesbaden einigten sich die tangierten Gemeinden über die gerechte Verteilung der Restkosten. Der Bau der Strecke wurde beschlossen, wenn auch manchmal nur mit knapper Mehrheit. Seit Mai 2000 radeln und skaten nun immer mehr Einheimische und Touristen auf dem asphaltierten Band. Plötzlich bewerben sich weitere Gemeinden um den Anschluss, so dass schon in zwei Jahren ein 50 km langes Radlerparadies in einem sonst eher radlerunfreundlichen Gebiet auf Gäste wartet. Der bisherige Erfolg hat alle Prognosen übertroffen. Die Gastronomie blüht auf, und das touristische Angebot der gesamten Region ist sowieso beeindruckend in Menge, Qualität und Vielfalt.
Zurück zu uns: Wir genossen eine rauschende Abfahrt von Hartmannshain über die inzwischen abgetrocknete und sonnengewärmte Strecke. Nach dem Abendessen in einem Gasthaus für eher gehobene Ansprüche – bei akzeptablen Preisen – gab`s zum Nachtisch ein Video über die Obermooser Teiche, das der HR über einen Zeitraum von einem Jahr dort gedreht hatte. Die professionellen Aufnahmen verrieten sehr viel Sympathie mit dem Naturschutz-Projekt.
Fachwerk-Herrlichkeit stand am dritten Tag auf unserem Speisezettel. Nach guten zwei Stunden Radeln in eitlem Sonnenschein – unterwegs wurde auch ein Schwarzstorch gesichtet – war Alsfeld mit seiner UNESCO-geförderten Altstadt erreicht. Die Führung durch eine Einheimische brachte uns die Stadt noch näher, und mich an den Pranger. Das Halseisen wurde früher z.B. Tuchhändlern umgelegt, die die "Alsfelder Elle" zu kurz bemessen hatten. Ich war mir keiner Schuld bewusst, muss aber trotzdem ziemlich zerknirscht dreingeschaut haben
Höhepunkt unserer Tour wurde die Abfahrt vom Hoherodskopf nach Frankfurt. Der "Vulkanexpress", ein Linienbus mit Anhänger zur Fahrradmitnahme, hatte uns von Herbstein auf die – fast – höchste Erhebung im Vogelsberg transportiert. Bei strahlend schönem Wetter, die Straßen am 1. Mai um halb zehn noch fast leer, ging es rasant bergab. Auf meinem Liegerad brachte es der Tacho zeitweise auf 75 km/h, trotz wohldosierten Bremsens. Es war – pardon – einfach geil.
Kurzer Stopp im Fachwerkstädtchen Schotten, dann zum nahen Nidda-Stausee. Weiter über Bad Salzhausen – Mittagsrast im Kurpark – zum bekannten Niddauferweg. Im Hochgefühl ob der hinter uns gebrachten 280 km strebten wir auf zunehmend frequentierten Wegen unserem "Start und Ziel" zu. Natürlich mit der üblichen Abnahme der TeilnehmerInnenzahl an etlichen Abzweigungen: "22 kleine Negerlein" ...
Der Spruch am Rande: "Ja natürlich, er kann mich doch nicht den Berg hochschieben, wenn ich schwere Taschen am Rad habe." antwortete die zierliche Mitradlerin auf die vorsichtige Frage, ob wohl ihr Mann das Mehrtagesgepäck befördert. Sorry, Taschen könnte man ja auch mal irgendwo vergessen.