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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

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Verzählt?

Das Mysterium der Radverkehrszählstellen in Bad Vilbel

Ist da eine Zählstelle? Aus dieser Perspektive ist die Induktionsschleife (sie befindet sich auf der Höhe des Vorderrads des abgestellten Fahrrads) so gut wie unsichtbar
Jochen Waiblinger

Es ist wieder Mystery-Time in Bad Vilbel! Nicht so spektakulär wie im letzten Herbst, als plötzlich am Südbahnhof unserer Stadt reichlich merkwürdiges Metall aus dem Boden wuchs, welches sich später, von allerlei medialer Aufmerksamkeit und Erklärungen begleitet, als mehr oder weniger barrierefreie provisorische Baustellenüberquerung herausstellte, im Volksmund auch Rampenbauwerk genannt (siehe dazu auch Frankfurt aktuell 1/2022).

Das Geheimnis kommt diesmal bescheidener daher. Die meisten Bürger:innen der Quellenstadt haben es bisher weder in seiner Existenz noch in seiner Tragweite wahrgenommen. Auch die Medien haben ihm noch keine Beachtung geschenkt. Aber der ADFC hat ja einen Informations- und Bildungsauftrag, und darum präsentieren wir die neueste fahrradtechnische Anlage in Bad Vilbel: die beidseitige Dauerzählstelle für den Radverkehr am oberen Schöllberg.

Zählstellen sind äußerst nützliche Einrichtungen, denn sie geben Auskunft über das Radverkehrsaufkommen in einer Kommune. Eine verlässliche und umfassende Datengrundlage ist für die Behörden wichtig, um den Bedarf an Fahrrad-Infrastrukturmaßnahmen und ihre Wirksamkeit zu erkennen und auf ein verändertes Mobilitätsverhalten zu reagieren. Da die Zählstellen ununterbrochen zählen, ermöglichen sie den Vergleich beliebiger Zeiträume. So lassen sich Rückschlüsse auf den Einfluss von Witterungsverhältnissen, Verkehrslagen, Baumaßnahmen oder anderen Faktoren ziehen.

Ein öffentliches Display sucht man bei den neuen Dauerzählstellen vergeblich. Bei genauerem Blick sind die in die Fahrbahndecke eingebrachten Induktionsschleifen zu sehen. Die Sensoren erkennen die Geometrie eines Fahrrads anhand der zwei Laufräder und des Tretlagers, welche die Induktionsschleife überfahren, und übertragen ihre Daten per Mobilfunk an einen zentralen Server. So werden Fahrräder gezählt – und nur diese, andere Fahrzeuge hingegen nicht.

Bloß – was genau ist daran geheimnisvoll?
Seit dem 29. April 2022 wird der Radverkehr am Schöllberg erfasst. Auf einer Internetseite (Link siehe Infobox) können diese Daten eingesehen werden. Dabei zeigt sich für Bad Vilbel folgendes Phänomen: Bis Anfang Juni sind 11.293 Räder bergauf Richtung Heilsberg und Frankfurt gezählt worden, aber nur 8.827 bergab in die Bad Vilbeler Kernstadt! Das bedeutet eine Differenz von knapp 2.500 Radfahrenden – oder durchschnittlich 70 pro Tag.

Bild zum Artikel Hier ist das Rautenmuster der in der Asphaltdecke installierten Induktionsschleifen gut erkennbar.
Jochen Waiblinger

Und hier beginnt die Suche nach einem Erklärungsansatz.
These 1: Es handelt sich um ein technisches Problem. Können vielleicht die Sensoren die teilweise hohen Geschwindigkeiten zwischen 35 und 45 km/h, die manche Räder auf der Bergabstrecke erreichen, nicht mehr messen? Eine Anfrage bei Hessen Mobil als zuständiger Behörde der Zählstellen ergab, dass im Probebetrieb auch Geschwindigkeiten bis zu 50 km/h und sogar mehr problemlos registriert wurden.

These 2: Unterschiedliche Hin- und Rückwege. Da der Schöllberg eher von Pendelnden genutzt wird und außerdem die radtouristische Saison noch nicht richtig begonnen hat, scheint mir dieser Ansatz wenig tauglich. Hinzu kommt, dass die Nutzungszahlen an den Wochenendtagen eher am unteren Rand liegen und überdies die Differenzen denjenigen an den Werktagen gleichen.

These 3: Zu viele "Profis". Es gibt nicht wenige Radelnde, die mit Rennrädern schnell unterwegs sind und dabei eher die Straße als den Radweg benutzen. Dies trifft insbesondere im Fall von Gefällstrecken zu.

These 4: Fahrten auf der falschen Seite. Ich selbst pendle an vier Tagen die Woche mit dem Rad über den Schöllberg nach Frankfurt. Nicht selten kommen mir dabei auf der Bergaufstrecke, insbesondere im unteren Bereich, Radelnde entgegen (der Radfahrstreifen ist nicht als Zweirichtungsweg angelegt!). Zwar sind es nicht viele, aber das mag während der Zeit vor Schulbeginn anders sein.

These 5: "Auf Nimmerwiedersehen!" Nein, daran mag ich nicht denken! Bad Vilbel ist eine schöne Stadt, in der es sich gut leben lässt. Darum mag ich nicht an einen geheimen Massenexodus in Richtung Frankfurt denken.

Es spricht also einiges für eine Kombination der Thesen 3 und 4, jedoch scheint mir dies bei einer täglichen Abweichung von 70 Rädern noch nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein. Wir werden also weiter recherchieren.

Übrigens wird es in Bad Vilbel demnächst noch eine weitere Zählstation geben, und zwar am Ende der Huizener Straße auf der Niddaroute nach Frankfurt-Berkersheim. Vermutlich wird es sich um eine Station mit Sensoren in beide Richtungen handeln, da der Platz für zwei sauber getrennte Zähleinheiten zu knapp sein dürfte. Anders als beim Schöllberg ist dies auch oder sogar eher eine Freizeitstrecke, sodass es durchaus sein kann, dass nur eine Richtung bevorzugt wird und die Rückwege häufig über andere Routen erfolgen. Wir sind gespannt auf die künftigen Zahlen.

Hintergrundinfo: Dauerzählstellen

Im Frühjahr teilte das hessische Verkehrsministerium mit, im Laufe des Jahres 2022 landesweit 270 Dauerzählstellen für den Radverkehr zu installieren. Hierdurch sollen Daten für eine verbesserte Radverkehrsplanung ermittelt werden. Für die eine Hälfte der Zählstandorte liegt die Verantwortung bei Bund und Land – vertreten durch Hessen Mobil – für die andere Hälfte bei Kreisen, Städten und Gemeinden. Die Koordination der Standorte und die Beschaffung sowie Steuerung des Einbaus der Zählstellen erfolgt zentral durch Hessen Mobil. Die Messdaten aller aktiven Dauerzählstellen (bei Redaktionsschluss waren es 158) sind online unter diesem Kurzlink verfügbar: www.adfc-hessen.de/=zPcn

Jochen Waiblinger