Das rote Wunder
In Darmstadt quert eine sehenswerte Brücke für den Radverkehr die stark befahrene Rheinstraße
In unserer März-Ausgabe hatten wir die neue Brücke in Darmstadt bereits vorgestellt, aus Platzmangel nur mit einer kleinen Abbildung auf Seite 26. Doch damit werden wir dem Bauwerk, dessen spektakuläre Architektur ausschließlich dem Radverkehr und Fußgänger:innen dient, nicht gerecht. Deshalb folgt hier eine etwas ausführlichere Würdigung.
Die Rheinstraße ist die Haupteinfallstraße in die Darmstädter Innenstadt. Die mehrspurige Piste trennt neue Wohn- und Gewerbegebiete westlich des Hauptbahnhofs vom "Telekommunikationszentrum Rhein-Main", einer ausgedehnten Bürostadt. Durch die neue, rund 350 Meter lange Brücke wird eine rad- und rollstuhlfreundliche Verbindung zwischen dem Hauptbahnhof und den Arbeitsplätzen in der "Telekom-City" hergestellt.
links:
Von Außen zeigt sich die Brücke mit ihrem grauen Stahlblechkleid eher unspektakulär. Umso intensiver wirkt das Rot der Innenseite. Hier die nördliche Zufahrt, zu erkennen die Treppe für Fußgänger:innen.
rechts:
Moderat steigend windet sich die Rampe um den alten Baumbestand auf der Grünfläche. Die Fahrbahn ist breit genug, um im Begegnungsverkehr gut aneinander vorbei zu kommen.
Peter Sauer
Wer sich am Westausgang des Darmstädter Hauptbahnhofs aufs Rad schwingt, kann die stark befahrene Rheinstraße nun ohne Ampelhalt und abseits des Kfz-Verkehrs überqueren, auf moderat steigenden Rampen, die sich in großen Bögen um den alten Baumbestand winden. Der Belag ist rutschfest und die Fahrbahn breit genug, um im Begegnungsverkehr gut aneinander vorbei zu kommen. Fußgänger:innen können abkürzen, Treppenaufgänge verbinden ohne Umweg Straßenniveau und Brücke. Die markante Rotfärbung weckt dabei Erinnerungen an die roten Fahrradwege, die inzwischen innerstädtische Straßen zieren. Der Eingriff in die "Natur" beidseits der Rheinstraße ist minimal – die Brücke steht auf V-förmigen Stützen, die Rampenführung berücksichtigt den vorhandenen Baumbestand.
Das Bauwerk ist ein ästhetischer Genuss und zeigt, dass gute Architektur (Entwurfsverfasser: ARGE netzwerkarchitekten und TRAGRAUM Ingenieure) auch für den Radverkehr möglich ist – nicht nur in Kopenhagen oder den Niederlanden. Doch es gibt auch andere Stimmen. Helga Hofmann vom ADFC Darmstadt, die das rote Wunder häufig befährt, berichtet: "Fragt man Passant:innen, finden die einen sie furchtbar, die anderen nennen sie ,ein Aushängeschild'. Mich begeistert sie mit ihrer eleganten Linienführung und der leuchtend roten Farbe auf den inneren Seitenwänden und dem Boden. Vor allem nachts ist sie mit ihrer indirekten Beleuchtung ästhetisch ein Traum."
Der Eröffnung der Brücke im Dezember des vergangenen Jahres ging auch in Darmstadt eine lange Planungsphase voraus. Laut Helga Hofmann hat es seit 2005 immer wieder Diskussionen um die Notwendigkeit einer Brücke über die Rheinstraße für den Fuß- und Radverkehr gegeben. Allerdings wurde das Projekt in den Folgejahren aufgrund der Haushaltslage wieder zurückgestellt. Ende 2017 endlich stimmte die Stadtverordnetenversammlung mit den Stimmen von Grünen, CDU, Uffbasse und AfD für den Bau. Die vielen Arbeitsplätze in der "Telekom-City" machten eine kreuzungsfreie Rheinstraßenquerung dringend nötig.
Nun steht sie also und wird fleißig von Pendlern genutzt. Einen Ausflug ist sie auch für Frankfurter wert. Ob per Rad über den ersten Abschnitt des Radschnellwegs hinter Egelsbach oder per Bahn zum Darmstädter Hauptbahnhof – auf beiden Wegen ist das "rote Wunder" leicht zu erreichen.
Peter Sauer