Frankfurt aktuell im Gespräch mit Torsten Bertram von
Hessen
Mobil
Torsten Bertram leitet die neue Abteilung "Mobilität und Radverkehr" bei Hessen Mobil
Torsten Willner
Bei der Verkehrswende setzt Hessen Mobil stark auf Vernetzung
Seit Anfang des Jahres ist Hessen Mobil nicht mehr für die Autobahnen zuständig. Diese Veränderung war Anlass für eine größere Umstrukturierung von Hessens Straßenbaubehörde. Erstmals gibt es eine Abteilung "Mobilität und Radverkehr", sie wird von Torsten Bertram geleitet. Mit ihm sprachen ADFC-Landesvorstandsmitglied Paul van de Wiel und Frankfurt aktuell-Redakteur Torsten Willner darüber, welche Rolle Hessen Mobil künftig für die Gestaltung der Verkehrswende einnehmen könnte.
Herr Bertram, Hessen Mobil hat sich Anfang des Jahres völlig neu aufgestellt – können Sie uns die wesentlichen Veränderungen und die Gründe dafür erläutern?
Bei Hessen Mobil gab es bisher vier Abteilungen: Betrieb, Verkehr, Planung und Bau. Die beiden letztgenannten wurden zusammengelegt, um Synergien zu erzeugen und die Prozesse zu straffen. Auch Betrieb und Verkehr wurden aus diesem Grund zusammengelegt. Das sind die klassischen Themen. Mit dem Wegfall der Autobahn-Aufgaben wurde auch das Personal reduziert. Neben den klassischen Themenfeldern sollen nun auch Themen zur direkten Umsetzung der Verkehrswende forciert werden. Angefangen von Vernetzung der Verkehrsträger bis hin zum Radverkehr. Die Abteilung Mobilität und Radverkehr kümmert sich um alles, was nicht in das klassische Themenfeld hineinpasst.
Welche Punkte wären das im Einzelnen?
Der Radverkehr ist sicherlich ein großer Bestandteil der Verkehrswende. Aber auch die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger ist für uns ein sehr wichtiges Thema, das auch noch fast unbearbeitet ist. Der Regionalverband FrankfurtRheinMain und die ivm (Integriertes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain, die Red.) setzen gerade Projekte auf, an denen Universitäten, Fachhochschulen und wir selbst beteiligt sind. Hier wird es in der Zukunft ein erhebliches Potenzial geben, die Verkehrswende voranzutreiben. Wenn ich Emissionen durch Verkehr vermeiden will, muss ich die Wegekette von der Haustür bis zum Zielort komplett betrachten: Ich brauche Radwege bis zum Bahnhof, dort brauche ich Fahrradabstellanlagen oder die Möglichkeit, das Rad mit in die Bahn nehmen zu können. Wenn ich aus der Bahn steige, brauche ich wieder einen sicheren Rad- oder Gehweg. Verschiedene Verkehrsträger nutze ich aber nur, wenn ich den Nutzen klar erkenne: Indem mir mein Smartphone anzeigt, dass das reibungslos und schnell geht. Wenn ich nicht weiß, wo für mich der Nutzen entsteht, nehme ich aus Gewohnheit eben doch wieder das Auto – und ein riesiges Potenzial geht verloren.
Die Aufgabe ist dann also eine doppelte: Einerseits die Verkehrsinfrastruktur schaffen, andererseits die Informationen dazu digital verfügbar zu machen, damit der Nutzensichtbar wird?
Die Durchgängigkeit der Information ist ein großer Teil der Vernetzung. Hessen Mobil ist dabei an einigen Teilen dieser Wegekette beteiligt – etwa wenn der Radweg an einer Ortsdurchfahrt entlangführt oder als Bewilligungsbehörde für die Förderung der Infrastruktur am Bahnhof. In der Abteilung Mobilität und Radverkehr arbeiten wir an der Vernetzung sämtlicher Verkehrsträger. Dazu gehört die gesamte Bandbreite, auch Bike- und Carsharing, ÖPNV und die Bahn.
Ein großes Problem bei der Verkehrswende ist ja, dass vieles, was wir dazu brauchen,
so lange dauert. Können Sie uns Hoffnung machen, dass sich das in den kommenden Jahren ändert?
Wir sind da an die rechtlichen Rahmenbedingungen gebunden. Beim Baurecht ist zum Beispiel der Naturschutz ein großes Thema, das gilt auch für den Grunderwerb. Auch das Thema Emissionen spielt eine immer größere Rolle. Bei den jetzigen rechtlichen Rahmenbedingungen über Planfeststellungsverfahren oder Plangenehmigungen lassen sich Projekte kaum schneller realisieren.
Für den Bau vieler Radwege sind ja die Kommunen zuständig. Wie arbeitet Hessen Mobil mit den Städten und Gemeinden zusammen?
Kurz gesagt: Die Kommunen brauchen uns und wir brauchen die Kommunen. Das ist fast immer ein faires Miteinander. Aber auch die Kommunen haben ihre rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten und wir können im Thema Radverkehr und Nahmobilität nur noch beratend helfen. Abseits der Ortsdurchfahrten haben wir keine Zuständigkeiten mehr.
Der Bund hat ja gerade mit dem Förderprogramm Stadt und Land 43 Millionen Euro an Radverkehrsförderung bereitgestellt. Für die Bewilligung der Anträge sind Sie bei Hessen Mobil zuständig. Haben Sie aktuell schon Anträge auf dem Tisch und wie schnell können Sie die bearbeiten?
Das Prinzip der Verkehrsinfrastrukturförderung ist die Beantragung von Verkehrsanlagen durch die Kommunen. Hessen Mobil steht hier beratend zur Seite und prüft die entsprechenden Anträge. Wichtig ist dabei die kommunale Baulast, für die wir keine Zuständigkeit haben. D. h. aber auch, dass wir den Kommunen nicht vorschreiben: baut doch mal einen Radweg! Wir können technisch und rechtlich beraten und haben z.B. dazu mit dem Ministerium die Musterlösungen und Qualitätsstandards für Radverkehrsanlagen entwickelt. Hierbei ist das Thema Planung ein zeitlicher Risikofaktor, denn innerstätische Planungen sind oftmals sehr komplex und benötigen vielfältige Abstimmungen. Deshalb ist Radwegebau – von der Planung bis zur Umsetzung – nichts, was schnell geht. Selbst wenn alle an einem Strang ziehen.
Stichwort Musterlösungen und Qualitätsstandards: Nach der neuesten Ausarbeitung sollen Radnetze künftig stärker an den Bedürfnissen der Nutzer:innen orientiert sein, also zum Beispiel eher eine separierte Führungsform, wenn viele Schulkinder die Verbindung nutzen. Wie stellen Sie fest, welche Wege von wem genutzt werden?
Dies ist in erster Linie eine Aufgabe, die schon auf der Ebene der Gesamtnetzplanung erfolgen muss. Es muss geprüft werden, welche Quellen und Ziele vorhanden sind und wie sich die Menschen im Netz bewegen. Hieraus wird der Bedarf abgeleitet und damit auch gleichzeitig die anzutreffenden Nutzendengruppen festgestellt. Im Fall von Schulen erfolgt dies zum Beispiel über die Wohnorte der Schüler:innen und einer daraus abgeleiteten Netzspinne.
Auch an dieser Stelle zeigt sich das enge Miteinander mit den Kommunen. Das Land Hessen hat 2019 mit dem Radhauptnetz die großräumigen Achsen für den Alltagsradverkehr definiert und damit gleichzeitig das Rückgrat für die regionalen Netze geschaffen. Diese regionalen Netze liegen in der konzeptionellen Hoheit der Landkreise und Kommunen und werden durch das Land im Rahmen der Nahmobilitätsförderung gefördert. In vielen Regionen liegen bereits Netzkonzepte vor, einige ziehen gerade nach. Die Netzplanung ist die Voraussetzung für das von Bund und Land gleichsam verfolgte Ziel, den Radverkehr zu stärken. Die Netzbetrachtung ermöglicht darüber hinaus einen zielgruppengerechten Ausbaustandard.
Sie haben das Radhauptnetz erwähnt. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung dieses Netzes ein?
Wir rechnen damit, dass der Bedarf an neuer Radwege-Infrastruktur größer sein wird als die vorhandenen Ressourcen. Deshalb nehmen wir aktuell eine Dringlichkeitsbewertung vor, um hier die wichtigsten Maßnahmen umsetzen zu können.
Wann liegt die Dringlichkeitsbewertung vor?
Die Aufstellung der Bewertungsmethodik wird bis Ende des zweiten Quartals abgeschlossen sein, die Bewertung der Radwege erfolgt in Abstimmung mit dem Ministerium im zweiten Halbjahr 2021 und mit der Bekanntgabe erster vorläufiger Ergebnisse ist Ende 2021 zu rechnen.
Beim ADFC gilt Hessen Mobil nicht unbedingt als radaffine Institution. Wie würden Sie gerne mit dem ADFC bei Radverkehrsthemen zusammenarbeiten?
Der ADFC ist für Hessen Mobil ein sehr wichtiger Partner, weil er in der Sache eine sehr hohe Kompetenz hat. Wir arbeiten mit vielen Institutionen zusammen. Da sind natürlich die Kommunen, da sind aber zum Beispiel auch Verbände der Straßenbautechnik, auf deren Fachexpertise wir immer wieder angewiesen sind. So würde ich auch den ADFC einreihen. Sie haben eine ganz klare Kompetenz im Bereich Radverkehrsanlagen. Der ADFC prüft außerdem im Rahmen einer Kooperation mit uns auch die Wegweisung auf den hessischen Radfernwegen, auf solche Kooperationen können wir nicht verzichten.
Kein Interview kommt in diesen Zeiten ohne das Thema Corona aus: Neben der schmerzhaften Absage vieler Veranstaltungen und Touren haben wir als Verband, der mit vielen lokalen Gliederungen sehr in der Fläche aufgestellt ist, festgestellt, dass die Umstellung auf digitale Formate durchaus Vorteile haben kann, weil viel Reiseaufwand entfällt. Auch bei Hessen Mobil gibt es ja eine regionale Struktur mit vielen Außenstellen. Wie verändert die Pandemie die Kommunikation und Zusammenarbeit bei Ihnen?
Ganz subjektiv gesagt: So schrecklich diese Pandemie auch ist, sie bringt tatsächlich Neuerungen. Einige davon lerne ich sehr zu schätzen. Wir sind von Bad Arolsen bis Heppenheim, von Wiesbaden bis Fulda mit Außenstellen vertreten. Jetzt klicke ich nur noch zweimal auf die Maus und habe meinen Kollegen in Bad Arolsen sogar visuell vor mir, ich kann meinen Bildschirm präsentieren und teilen, man kann sehr gezielt und konzentriert Informationen austauschen und sich schnell abstimmen. Wir haben inzwischen auch sehr konstruktive Diskussionen, in denen sich meine Mitarbeiter:innen hocheffektiv austauschen. Das gefällt mir gut. Ich glaube, dass nach der Pandemie die eine oder andere Dienstfahrt nicht mehr notwendig ist. Das trägt natürlich auch dem Umweltgedanken in hohem Maße Rechnung.
Würden Sie auch sagen, das macht Hessen Mobil effizienter?
Das würde ich nicht sagen. Wir sparen Zeit und Reisekilometer, natürlich können wir die gewonnenen Ressourcen zur Qualitätssteigerung nutzen. Allerdings darf man auch die "Verluste" durch den Wegfall der persönlichen, sozialen Kontakte nicht unterschätzen. Man kann das für eine Weile lang zu 100 Prozent durch Videokonferenzen ersetzen, aber ich hoffe auch, anschließend unseren Kolleg:innen in der Fläche wieder die Hand geben zu können.
Herzlichen Dank für das Gespräch!