Corporate Social Radverkehr
Der 10. bike + business-Kongress stand ganz im
Zeichen der Klimadebatte
Preisverleihung: v. l. Tarek Al-Wasir (Hess. Verkehrsminister), Manfred Purps (
Torsten Willner
Es wurde ja auch Zeit: Weitsichtige Unternehmen haben die Förderung des Radverkehrs als Handlungsfeld im Rahmen der sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR) erkannt. Dieser Begriff schwappte um die Jahrtausendwende aus den USA und Großbritannien nach Deutschland und ist inzwischen auch bei uns populär. Unter CSR werden verschiedene Aspekte der Unternehmensverantwortung subsumiert, wobei Personal und Umwelt eine herausragende Rolle spielen. Dass sich das "R" darin inzwischen auch als Radverkehr buchstabieren lässt, hat viel mit der in Gang gekommenen Klimadebatte zu tun.
Klar auf ihre CSR-Strategie beruft sich Manfred Purps, Vorstand der Wiesbadener SOKA-BAU, bei der Begründung der betrieblichen Förderung des Radverkehrs, die der Sozialkasse für das Baugewerbe nun den bike + business Award 2019 eingebracht hat. In den eigenen Räumen nahm die SOKA-BAU die Auszeichnung im Rahmen des 10. bike + business-Kongresses am 16. Oktober aus den Händen von Verkehrsminister Tarek Al-Wazir entgegen. Der Preis wird vom Regionalverband FrankfurtRheinMain, dem Zweckverband Raum Kassel und dem ADFC Hessen vergeben.
Die SOKA-BAU hat den bike + business Award verdient, denn sie hat einen Radverkehrsbeauftragten installiert und eine E-Bike-Ladestation für acht Räder am Standort eingerichtet, die in das städtische System eingebunden ist. Außerdem gibt es ein Fahrrad-Leasing-Angebot für die Beschäftigten und einen Zuschuss für die Nutzung des Fahrradverleihsystems in Wiesbaden. Es finden regelmäßige Fahrrad-Check-Tage und gemeinsame Befahrungen von sicheren Radstrecken zur Firma statt. Eine Besonderheit ist, dass SOKA-BAU auch andere Unternehmen über das Thema betriebliche Mobilität informiert und diese überzeugen will, verstärkt auf den Radverkehr zu setzen, beispielsweise bei einer gemeinsamen Radtour. Das Unternehmen ist somit ein wichtiger Multiplikator für die Ziele von bike + business.
Doch auch andere Unternehmen engagieren sich für den Radverkehr: So hat sich die Fraport AG, in deren Geschäftsmodell eigentlich ein weniger klimafreundliches Verkehrsmittel die Hauptrolle spielt, zum Fahrradfreundlichen Arbeitgeber zertifizieren lassen, berichtet deren CSR-Manager Sebastian Linzbauer. Das ist deshalb sinnvoll, weil über 80.000 Menschen Tag für Tag zur Arbeit zum Airport kommen – ein riesiges Potenzial für mehr Radverkehr. Da die Wege dorthin nicht intuitiv gefunden werden können, hat die Fraport AG extra eine Fahrradkarte produziert.
Für den Deutschen Wetterdienst in Offenbach, bereits Träger des bike + business Award 2011, kündigte dessen Vizepräsident Norbert Wetter an, dass sich die Institution deutschlandweit zertifizieren lassen möchte. Der DWD verfügt laut Wetter über eines der feinsten Messverfahren für den CO2-Ausstoß und erstellt Projektionen, was dies für das Klima bedeutet. Auch aufgrund dieser Expertise fühlt sich der DWD zur Radverkehrsförderung geradezu verpflichtet. Durch konkrete Maßnahmen kommt das Unternehmen bereits auf eine jährliche CO2-Einsparung von 105 Tonnen, die aber noch gesteigert werden soll.
An die 50 Betriebe sind in Hessen seit 2002 durch bike + business zu einer systematischen Radverkehrsförderung gekommen. ADFC-Landesgeschäftsführer Norbert Sanden findet das erfreulich, aber bei weitem nicht ausreichend. Das unter anderem mit den Erfahrungen des bike + business-Projekts vom ADFC und der EU entwickelte Zertifikat "Fahrradfreundlicher Arbeitgeber" soll eine größere Breitenwirkung entfalten. Rückenwind bei der Ansprache von interessierten Unternehmen wünscht sich der ADFC vom Land Hessen.
Ob die MitarbeiterInnen aber tatsächlich das Rad als Verkehrsmittel zwischen Wohnung und Arbeitsplatz wählen, hängt entscheidend davon ab, wie sicher sie sich auf dem Weg fühlen. Bei dieser Frage setzt Heinrich Strößenreuther an, Initiator des Berliner Radentscheids. Zwei bis drei Meter breit wie in Kopenhagen soll ein Radweg sein, baulich vom Autoverkehr getrennt, nach Möglichkeit mit Pollern abgesichert – und auf jeden Fall so, dass Eltern ihre Kinder hier unbesorgt alleine Rad fahren lassen möchten. Nur wenn ein Radweg diesem Anspruch gerecht wird, besteht die Chance, eine wirklich große Zahl von Menschen aufs Rad zu bringen. Das Problem: "In Wiesbaden gibt es keinen einzigen guten Radweg, in Frankfurt sieht es ein bisschen besser aus", so Strößenreuthers Fazit.
Dass in Hessen durch Nahmobilitätsstrategie, konkrete Handlungshilfen und materielle Förderung durch das Land nun einiges für den Radverkehr in Gang gekommen sei, rückte Verkehrsminister Al-Wazir in den Vordergrund. Rouven Kötter, Erster Beigeordneter des Regionalverbands FrankfurtRheinMain schilderte, welche Radschnellverbindungen um die Mainmetropole entstehen sollen. Und Kai Georg Bachmann, Direktor des Zweckverbands Raum Kassel, berichtete vom Normalwerden des Radfahrens in Nordhessen auch außerhalb touristischer Vergnügungen. Ob sich unter diesen Vorzeichen ADFC-Landesvorsitzender Stefan Janke Hessen bis zum Jahr 2029 als Fahrradland vorstellen könne, fragte Moderator Georgios Kontos – doch das scheint eine Vision, für die viel Phantasie erforderlich ist. Vielleicht können der drohende Klimakollaps, krankmachender Lärm und der fehlende Platz in den Städten die starken Treiber sein, dass sich etwas Substanzielles bewegt, hofft Janke.
Und etwas für das Rad bewegen – auch das wurde klar beim bike + business-Kongress – können nicht nur Land, Kommunen und Radentscheide, sondern auch die Betriebe. Denn die Unternehmen können ihr Gewicht als Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler auch dazu nutzen, vor Ort bessere Wege für ihre Rad fahrenden Mitarbeiter durchzusetzen. Leider haben die IHK's in ihren Forderungen zur Mobilität bisher in der Regel nur an den Autoverkehr gedacht. Aber auch das kann sich ja ändern. Vielleicht wird auch hier das Responsibility-"R" demnächst als "Radverkehr" buchstabiert…
Torsten Willner