Grenzerfahrungen beim Radler-Fest
Der Autor dieses Beitrags nachdenklich am Infostand des ADFC auf dem Radler-Fest
Foto-AG ADFC Frankfurt
Das Radler-Fest des ADFC Frankfurt fand am 27. Mai bei trockenem und warmem Wetter statt und entsprechend hoch waren die Besucherzahlen. Gut dran war, wer nicht die ganze Zeit in der prallen Sonne stehen musste. Die meisten der diversen ADFC-Stände waren zum Glück unter Schatten spendenden Bäumen aufgebaut, was in früheren Jahren nicht immer so sehr aufgefallen war.
Ein fester Bestandteil des Besucherstroms sind seit 2016 die Bewohner der nahegelegenen Flüchtlingsunterkunft, für die der Radler-Fest-Sonntag sicherlich eine willkommene Abwechslung darstellt. Beim Technik-Check des ADFC wurde so schon manches Fahrrad repariert, das sonst weiterhin geklappert hätte oder gar verkehrsunsicher geblieben wäre.
Am Stand des ADFC-Infoladens blätterte ein junger Mann in diversen Landkarten und Reiseführern und fragte immer wieder: "Ist das Deutschland?" Ich antwortete jeweils nur: "Ja, aber es ist nur ein Teil von Deutschland." Ich überlegte mir, welche Region ich denn nun am besten heraussuchen sollte, bis mir klar wurde, dass mein Gegenüber sich gerade für das ganze Deutschland interessierte. Da gibt es die Übersichtskarte "Radfernwege Deutschland", die gut geeignet ist, Reiseplanungen zu erleichtern. Ich holte ein Exemplar und breitete es aus. Der junge Mann sah plötzlich sehr viel zufriedener aus als vorher und auf einmal waren wir beiden auch nicht mehr alleine, sondern ein paar Nachbarn teilten mit uns das Vergnügen, diese Karte zu studieren. Ich zeigte auf Frankfurt, auf Köln, Hamburg, Berlin, Stuttgart und München und ein paar von diesen Ortsnamen schienen durchaus bekannt zu sein. Aber der richtige Volltreffer waren meine Erläuterungen noch immer nicht, denn es kam die Frage: "Wo sind die Grenzen?" Da dachte ich an die Fortsetzungsgeschichte über eine Deutschland-Umradelung aus den ersten vier Heften 2017 von "Frankfurt aktuell" und zeigte nacheinander die Grenzen zu Frankreich, Dänemark und Polen. Keine Reaktion. Bei den Grenzlinien zu Tschechien und vor allem zu Österreich, wurde es dagegen lebhaft. Das alles hätte ich mir natürlich eher denken können, aber ich kam jetzt erst darauf, dass hier wahrscheinlich Menschen vor mir standen, denen nie richtig klar gemacht worden war, wo sie eigentlich gelandet waren und wie weit das Land um sie herum ist. Die nächste Frage lernt man normalerweise schnell in einem fremden Land: "Was kostet?" Da konnte ich beherzt die ernsten Minen aufhellen. Die Karte kostet gar nichts und ich verschenkte im Handumdrehen drei oder vier Stück davon. Die Gruppe ging auseinander, nicht ohne ein weiteres wichtiges Wort aus dem Fremdwörterschatz, ein aus dem Herzen kommendes "Danke".
Ich blieb sehr nachdenklich zurück. Natürlich bin ich oft an Orten gewesen, deren Namen ich vorher noch nie gehört hatte. Aber selbst wenn es sich nur um eine Zwischenlandung handelte oder um eine ungeplante Umleitung, wusste ich immer einigermaßen genau, wo ich war oder fand es bald danach heraus. Was muss das für ein Gefühl sein, wochen- oder monatelang in einem fremden Land mit fremder Kultur und fremder Sprache zu leben, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wo dieses Fleckchen Erde überhaupt liegt.
Der nächste Kunde brachte mich auf andere Gedanken. Er wollte an der Mosel entlang radeln und setzte ganz selbstverständlich voraus, dass ich alles im Kopf hatte: Die Anreise, das Höhenprofil, die Radwegqualität, die Übernachtungsmöglichkeiten. Wie einfach ist doch regionaler Tourismus.
Ingolf Biehusen