Radfahren macht glücklich
So ein Quatsch! Jeder Radler weiß doch, dass das Sprichwort "Scherben bringen Glück" vielleicht für andere gilt, aber ganz gewiss nicht für Fahrradfahrer/-innen.
Aber etwas ist doch dran. Zunächst weiß man, dass Radfahren allgemein die Laune hebt. Dies haben Wissenschaftler von der Universität von Texas (von wo sonst?) eindeutig festgestellt. Schon drei Mal in der Woche jeweils 30 Minuten Radfahren verringert Gefühle der Niedergeschlagenheit um die Hälfte – für US-Amerikaner gegenwärtig enorm wichtig.
Aber bis zum wirklichen Glück muss wahrscheinlich doch mehr Fahrrad gefahren werden. Ein wahrhaftiger Glückszustand tritt meist erst dann ein, wenn mehrere Sinne angesprochen werden. Jeder kennt das Gefühl, das sich einstellt, wenn der Wind bei schneidiger Fahrt die Haare durcheinanderwirbelt oder ein leichtes Prickeln auf der Haut hervorruft. Und beim Rest des Körpers liegt auch nur ein dünnes Stück Stoff zwischen Haut und Welt. Wir hören auf die Geräusche, die uns abseits der Zivilisation umgeben. Von den Radwegen aus sehen wir die Landschaft neu und anders – wir erkennen Details, die dem eiligen Passanten verborgen bleiben. Und wir riechen und schmecken, was uns umgibt.
Was den letzten Punkt betrifft, so hat die Wissenschaft einen direkten Zusammenhang zwischen guten Gerüchen und dem körpereigenen Abwehrsystem und der Stimmungslage festgestellt. Professor Walburton aus England empfiehlt daher, fleißig durch Feld und Wald zu radeln, und ich sage noch dazu: ab und zu einmal anhalten, schauen und riechen, die Blumen aber stehen lassen, denn andere sollen ja auch noch glücklich werden.
Die allerhöchsten Glücksgefühle sind allerdings meist nur von kurzer Dauer. Im Gehirn werden dann die sogenannten Glückshormone wie zum Beispiel Serotonin ausgeschüttet. Dies geschieht meist bei der Nahrungsaufnahme, beim Sport und beim Sex. (Daher sieht sich der Autor verpflichtet, auch noch einen Artikel zum Thema "Radfahren macht sexy" zu schreiben).
Schlussfolgerung für uns: Essen und Trinken sind für das Glück des Radelnden unerlässlich. Wer sich nach einer ausgiebigen Radtour den lukullischen Wonnen verschließt, dem ist schlicht nicht zu helfen. Gar nicht zu reden ist vom Lustgewinn beim Speisen und Trinken im Freien. Es heißt dann mitnichten: "Du Armer! Musst mit dem Rad zurück!" Nein, stattdessen: "Du Glücklicher! Du darfst aufs Rad!"
Aus der Glücksforschung (die gibt es zum Glück wirklich) ist bekannt, dass schon der Sonnenschein allein die Stimmung hebt und wirkliche Glücksgefühle erzeugt. Also: "Nischt wie raus!" Aber wenn es nun doch mal regnet? Dass muss kein Unglück sein. Dafür gibt es den sogenannten Flow. Damit wird ein sehr lustbetontes Gefühl bezeichnet, das sich dann einstellt, wenn der Mensch vollständig in einer Tätigkeit aufgeht. Das wiederum passiert dann, wenn wir uns einer Aufgabe gewachsen fühlen (hier: dem Radfahren), wenn wir uns völlig auf sie konzentrieren können, wenn wir ein klares Ziel vor Augen haben, wenn wir die Kontrolle über unser Tun ausüben und schließlich und endlich auch eine Rückmeldung über den Erfolg erhalten. Wenn all das gegeben ist, dann treten meist die Sorgen und der Ärger in den Hintergrund, und wir sind weder über- noch unterfordert.
Wie man sieht: Ein Flow lässt sich nicht herbeizaubern. Hinzu kommt noch, dass er sich nur dann einstellt, wenn die Tätigkeit um ihrer selbst willen ausgeübt wird, also freiwillig, mit einem guten Gefühl und weil sie Spaß macht. Postzusteller werden daher eher selten einen Flow erleben, wir Alltagsradler dagegen schon eher. Dann kann man es auch gut aushalten, wenn einen jemand hinter einer Autoscheibe hervor mitleidig anschaut, weil man im strömenden Regen fährt, während der besagte Jemand im Trockenen sitzt. Oder wenn man sich schweißtriefend den Berg hinaufquält, während in der Blechkiste die Klimaanlage surrt. Auch wenn man im Schneetreiben durch die Stadt radelt, und der Mensch im Auto sich im Gegensatz zu einem selber den Hintern elektrisch heizen lässt (eine Perversion der Elektromobilität).
Wir denken an Albert Camus, der gesagt hat: "Der Kampf gegen den Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen." Wir schauen mitleidig zurück – und sind glücklich!
Karl Pfeil