"Ja, mir san mit'm Radl da"
Faszination BR-Radltour – tolle Stimmung (nicht nur) auf dem Sattel und am Fahrbahnrand
Kurz vor Durach, hinter dem höchsten Punkt der Tour im Allgäu, sammelt sich das weit auseinander gezogene Feld der BR-Radler
Foto: Claudia Schlick
Zweimal hatte ich mich schon beworben, dieses Jahr hat es geklappt: Ich gehörte zu den glücklichen 1.100, die für die Teilnahme an der BR-Radltour ausgelost worden sind. Ausgelost?, 1.100? – Ja, denn die BR-Radltour ist in Bayern Kult.
Los ging es am 29. Juli. Bereits in Aschaffenburg nach dem Einsteigen in einen der drei Sonderzüge, der unsere Räder und uns zum Start in Gunzenhausen bringen sollte, war klar, was sich hinter der hoch gelobten BR-Radltour-Familie verbirgt: Man kennt sich seit Jahren, hat viele Berge gemeinsam erklommen, auf Matratzen nebeneinander genächtigt und das ein oder andere Bierchen genossen. Entsprechend groß war die Wiedersehensfreude der Wiederholungstäter.
Am Gunzenhausener Bahnhof spielte eine Blaskapelle zur Begrüßung "Ja, mir san mit'm Radl da", das THW half beim Ausladen der Räder und transportierte das Gepäck zur Unterkunft; ein Hochradfahrer geleitete uns zum Check in, wo eine Band und frisch Gegrilltes auf uns warteten. Ein blauer Zettel wies mich dem blauen Übernachtungsquartier zu und so führte mein Weg in die erste Turnhalle, wo Matratzen bereit lagen. Es folgte ein wettbewerbsähnliches Ritual, das sich von Tag zu Tag wiederholte. Denn es galt, den besten Schlafplatz zu ergattern. Eine Ecke mit einer Sprossenwand für feuchte Handtücher war optimal, eine Wand gut und der ein oder andere schleifte seine Matratze in entlegene Gänge oder nach draußen. Ob es tatsächlich angenehmer ist, vor einer stark frequentierten Toilettentür zu schlafen statt gemeinsam mit 450 anderen in einer Halle, vermag ich nicht zu beurteilen.
Für den ersten Tag hatten sich die Veranstalter etwas Besonderes einfallen lassen. Es wurden weitere 1.100 als Tagesgäste auf einen Rundkurs von 70 km um Gunzenhausen herum mitgenommen. Die Straßen waren während der ganzen Tour gesperrt, von parkenden Autos überwiegend befreit und durch die Polizei und örtliche Kräfte gut abgesichert. Mit 2.200 teils ungeübten Radfahrern zu radeln, erforderte dennoch Anpassungsvermögen und Geduld. Die Blitze zuckten bei der Zieleinfahrt am Himmel und so erreichten wir gerade noch trocken unsere Unterkünfte.
Deutlich flüssiger schlängelte sich das mehrere Kilometer lange Fahrerfeld in den nächsten Tagen durch Bayern, von Mittelfranken in das Allgäu. Von Gunzenhausen ging es am zweiten Tag nach Nördlingen, am dritten Tag nach Gersthofen, am vierten Tag nach Landsberg am Lech, am fünften Tag nach Memmingen, bevor wir den Zielort Sonthofen am sechsten Tag nach etwa 450 km und mit 3.000 Höhenmetern in den Beinen erreichten.
Für warme Muskeln und lockere Waden sorgte allmorgendlich die flotte Carina von der AOK, gefolgt von der BR-Radltour-Hymne von "Fleischi" (Bernhard Fleischmann) mit dem Refrain: "Radel verpflichtet, auf dem Radel sind alle gleich, ob Du arm bist oder Scheich". Nach dem Dank an die Gastgeberstädte, Hinweisen zur Tagesetappe und dem Bericht der Polizei ging es los.
Die Straßen waren stets gesäumt von Anwohnern, die uns zujubelten, mit Kuhglocken läuteten, mit Gartenschläuchen auf uns spritzten und Transparente in die Luft hielten. Kindergärten standen mit bunten Tüchern, Rasseln und Fähnchen am Rand, die Bewohner von Altenheimen saßen begeistert winkend auf dem Gehsteig, Kapellen bliesen den Marsch und Feuerwehren sorgten mit dicken Schläuchen für Abkühlung. Es war eine Gaudi von früh bis spät.
Weiter ging das abwechslungsreiche Programm in den beiden Pausen, der Wasserpause und ganz besonders der ausgedehnten Mittagspause, wo uns so manches Schmankerl, von einer Musical-Premiere über diverse musikalische Darbietungen bis hin zu Massage, natürlich neben kulinarischen Highlights, geboten wurde.
Gänsehautfaktor hatten die Zieleinfahrten. So steuerten wir beispielsweise in Memmingen bei Glockengeläut und Musik auf einen vollen Marktplatz zu, für ein Meer aus blauen und orangenen Luftballons hatte der örtliche ADFC gesorgt, jubelnde und klatschende Memminger, teils in Kostümen, säumten den Rand.
Und wer abends noch nicht müde war, auf den warteten Konzerte von Mark Forster, Marques, Kim Wilde, The Common Limits, Max Giesinger, Tim Bendzko und Christina Stürmer mit anschließender Disko-Party bis Mitternacht.
Für mich war es eine unvergessliche Woche. Dass alles so reibungslos funktionierte, ist der guten Organisation des Bayrischen Rundfunks, aber auch dem riesigen ehrenamtlichen Engagement des Technischen Hilfswerks, des Arbeiter-Samariter-Bundes, von ADFC-Mitgliedern und der Polizei zu verdanken. Sie alle gehören dazu – zur BR-Radltour-Familie.
Claudia Schick