Tirano in bici
Neues aus dem Worldwide-Velo-Web
Fotos: Peter Sauer
Tirano liegt im äußersten Norden Italiens, eingeklemmt zwischen steilen Berghängen im Adda-Tal. Hier endet die Bahnlinie aus Mailand, hier endet auch die Strecke der Berninabahn aus St. Moritz. Die Umgebung bietet für Passfahrer und Mountainbiker eine reiche Auswahl an Betätigungsmöglichkeiten. Alltagsradler ohne sportliche Ambitionen aber sind nur auf dem flachen Talboden entlang des Flusses oder direkt in Tirano unterwegs. Doch trotz dieser beschränkten Velotauglichkeit der Stadt hat man fünf funktionierende Verleihstationen eingerichtet, an denen rote Alltagsräder gemietet werden können. Warum? Wir haben unsere Italien-Korrespondentin (!) gebeten, nachzufragen.
Auch in Italien hat man erkannt, dass langfristig dem motorisierten Chaos etwas entgegen gesetzt werden muss. Eine Vereinbarung zwischen der Gemeinde Tirano und den umliegenden Dörfern, der "Comunità montana", soll die sanfte Art der Mobilität fördern. Dabei glaubt man gerade in den touristischen Destinationen, am Fahrrad nicht mehr vorbei zu kommen: Nicht ganz zufällig ist "Tiranoinbici" beim "Consorzio Turistico Valtellina Terziere Superiore" (Tourismusverband) angesiedelt. Prompt sollen die ersten Nutzer dann auch vier Australier gewesen sein, die gleich am Starttag des Projektes Velos entliehen haben. Weiterhin sind es vor allem Touristen, die davon Gebrauch machen, zumeist mit der vier Stunden gültigen Halbtageskarte. Doch auch Einwohner und Pendler haben das neue Angebot im vergangenen Sommer gut angenommen.
Mit der Installation der Verleihstationen wurde gleich ein radtouristischer Rundweg zu den Sehenswürdigkeiten in Tirano ausgewiesen. Wer mit Bahn oder Bus anreist, findet an der "Piazza delle Stazione" und der Busstation Leihräder vor. Damit ist man in wenigen Minuten ins sehenswerte historische Zentrum geradelt oder, in die Gegenrichtung, zur berühmten Kirche der Madonna von Tirano. Hier warten stündlich bahnbegeisterte Fotografen darauf, dass die roten Züge der Berninabahn den Platz vor der Kirche im Schritttempo queren und damit ihren Beitrag zur sanften Mobilität leisten.
Tiranoinbici – wie funktioniert's? Mit einer elektronischen Karte kann man von jeder der Verleihstationen ein Rad (so vorhanden) ausleihen und es an jeder beliebigen Station (vorausgesetzt, ein Platz ist frei) wieder abgeben. Die Räder sind per GPS überwacht, so dass deren Standort und die Verfügbarkeit an den Stationen jederzeit im Internet einsehbar ist (www.bicincitta.com). Allerdings weist das GPS-System nach Auskunft der Betreiber in Tirano noch Schwächen auf. Zurzeit stehen 25 Räder zum Verleih, davon fünf Mountainbikes. Diese Anzahl war bisher ausreichend, da die Räder zumeist nur für halbe Tage geliehen wurden. An der Rückgabestation stehen sie dann umgehend wieder zur Verfügung. Geklaut oder ernsthaft beschädigt wurde bisher keines der Räder, geringfügige Spuren von Vandalismus sind zum Glück selten zu sehen.
Was kostet's? Es gibt Halbtages- (2 Euro), Tages- (5 Euro), Wochen- (15 Euro) und Jahreskarten (25 Euro für Einheimische in Verbindung mit der regionalen Bürgerkarte). Alle Karten sind im Büro der Touristeninfo zu erhalten, die für Urlauber interessanten Halbtagskarten auch an anderen Verkaufsstellen.
Hat das Verleihsystem auch eine verkehrspolitische Dimension? Das Ziel der Initiative sei vor allem, eine autofreie Mobilität der kurzen Wege in der Stadt zu fördern sowie dazu beizutragen, durch die Benutzung eines umweltschonenden Verkehrsmittels den Verkehr in der Stadt zu reduzieren. Wichtig sei jedoch auch die Förderung des Fremdenverkehrs, unter anderem durch Radausflüge auf dem "Sentiero Valtellina", einem Rad- und Wanderweg entlang des Flusses Adda.
Dank an Barbara Chiodi, die (italienisch) mit dem Tourismusbüro in Tirano über das Radverleihsystem sprach.
Peter Sauer