links: Das kleine radelnde rote Teufelchen der Lausitzer Bergbautour zeigt sich jedem, der mit dem Rad hinter mir fährt, um ihm zu sagen: Keine Angst, der Teufel fährt vor dir, ist also nicht hinter dir her!
rechts: Gurke im Sattel
Foto: Günther Gräning
"Sympathie For The Devil"
(The Rolling Stones 1968)
Die folgende Radtour hat's in sich, dem Teufel sei Dank!
Es geht am 10. Mai 2013 los: Im Zug Richtung Brandenburg klaut man mir zunächst den Tacho. Dann rate ich gerade einem hübschen Mädchen mit nagelneuem Rennrad, aber ohne Fahrkarte, sie möge sich lieber freiwillig dem Schaffner offenbaren, als der Zug durch eine Staubwolke donnert und nach einer Notbremsung hält. "Zwanzig Minuten Halt", verkündet eine Stimme. Woher weiß die das? Des Rätsels Lösung: Genau so lange braucht man zu Fuß bis zur Quelle der Staubwolke und zurück – jemand hatte Schottersteine aufs Gleis gelegt. Der Teufel etwa?
Am nächsten Tag kaufe ich in Brandenburg einen neuen Tacho, den mir der Radhändler morgens noch vor 9 Uhr montiert und per PC einstellt: die alten Gesamtkilometer, Radumfang, Uhrzeit. Chapeau!
Am Abend sollen meine beiden Begleiter Alfred und Gerhard eintreffen. Alfred ist US-Amerikaner, hat also den berühmten "Migrationshintergrund"; diese Menschen kaufen, wie jeder weiß, überwiegend bei einem namhaften Discounter. Dort hat Alfred neue Gepäcktaschen erworben, deren linke leider schon beim Schieben auf dem Frankfurter Flughafenbahnhof die Halterung verliert. Ich soll ihm in Brandenburg zwei neue kaufen. Dem Teufel sei Dank: Der Radladen ist schon zu. Da der Erfurter Bahnhof gerade umgepflügt wird, kommen meine Mitradler erst um 22 Uhr an. Alfred hat seine linke Gepäcktasche irgendwie auf dem Gepäckträger festgebunden.
Sonntags am 12. Mai geht es auf dem Radfernweg "Tour Brandenburg" immer dem roten Adler nach 95 km bis Raben im Fläming. Alfreds Gepäckträger nimmt die ungleiche Belastung übel und verliert rechts eine Schraube. Gerhard sucht vergeblich nach Kabelbindern und repariert notdürftig mit Paketband. Er übernimmt für diesen Tag eine Gepäcktasche von Alfred. Es beginnt mittags stark zu regnen. Alfred bricht beim Schieben über eine Brücke auch die rechte Gepäcktasche weg. Nun muss er diese Tasche auf dem angeschlagenen Gepäckträger festbinden. Mit seinem blauen Rucksack, den prallgefüllten Rückentaschen und seinem gelben Gepäcküberzieher oben auf dem Träger sieht er aus wie eine Ente, die Leergut oder Sperrmüll sammelt und transportiert. (Der Fairness halber: Ich fahre außer mit Gepäcktaschen mit einem grauen Kasten auf dem Gepäckträger, der zwar äußerst praktisch ist, aber aussieht wie eine Mischung aus Schminkkoffer und Hutschachtel. Und Gerhards Taschen vorne und hinten haben alle Farben eines Papageis.)
Zwölf Rennradler trocknen sich in Raben beim Essen die nassen Füße. Sie kommen schon aus Rheinsberg kurz vor Mecklenburg und wollen um 16.30 Uhr noch 100 km bis Leipzig fahren. Chapeau!
Alfred erbettelt beim Wirt zwei Kabelbinder und repariert seinen Gepäckträger. Jetzt kann er es wagen, beide Gepäcktaschen ohne Halterung oben auf dem Gepäckträger festzubinden.
links: Hinweisschilder in Deutsch und Sorbisch
rechts: Gurke auf dem Sattel
Foto: Günther Gräning
Um 4.30 Uhr morgens ist in Raben Fliegeralarm! Die Sirene weckt alle Vögel im Fläming, darunter auch mehrere Kuckucke (aber keinen Raben). Es gibt sehr viele Vögel in Raben, aber kaum Menschen und keinen Mobilfunk. Daher musste die Feuerwehr nachts per Sirene zur Arbeit rufen; vor der uralten Dorfkirche, zu deren Erhaltung ich am Abend ein Scherflein geopfert hatte, war nämlich ein großer Ast auf die Straße gestürzt. Ich verdächtige erneut den Teufel.
Am nächsten Tag soll es auf der Tour Brandenburg 88 km bis Luckenwalde gehen. Kurz vor Treuenbrietzen ("Sabinchen war ein Frauenzimmer…") bricht mir die Wäscheklammer, mit der ich die Radroutenkarte fixiert habe. Wir besuchen in Treuenbrietzen einen Radhändler und einen Haushaltsladen. Der Radhändler ersetzt bei Alfred die Kabelbinder durch eine Schraube, weigert sich aber, ihm Gepäcktaschen zu verkaufen, weil er die an dem schwächlichen Gepäckträgerlein für sinnlos hält. Alfred muss weiter mit Spanngurt und einem Seil klarkommen. Ich frage zur selben Zeit im Haushaltsladen nach einer einzelnen Wäscheklammer. Tatsächlich findet die Verkäuferin eine aus Plastik. Sie muss dafür ein Verkaufsgespräch unterbrechen, in dem es um einen Plüschlöwen geht. Die Kundin: "Der ist mir zu groß, und der andere ist mir zu traurig." Ich will die Plastikklammer kaufen, soll sie aber nur bekommen, wenn ich nicht bezahle. Als ich daraufhin verspreche, den Laden weiterzuempfehlen, erhalte ich noch zwei hölzerne Klammern geschenkt. Weiter über Jüterbog nach Luckenwalde. Kurz vor dem Hotel wird vor unseren Augen ein Hund von einem Auto angefahren. Schon wieder der Teufel?
Am 14. Mai 87 km weiter bis zu einem Schloss mit Bett+Bike in Uebigau. Unterwegs auf der Fahrt durch Eichenalleen entlang der Schwarzen Elster setzen sich Raupen mit langen Fäden auf unsere Helme, Kleidung und aufs Gepäck. Ich erhalte das Zimmer mit der Nummer Null und verdächtige wieder den Teufel. Laut Auskunft Einheimischer ist ein 15-Tonnen-Lkw über ein Brückchen gefahren. Fahrräder dürfen jetzt nicht mehr hinüber und müssen einen weiten Umweg fahren.
Bagger im ehemaligen Braunkohlerevier
Foto: Günther Gräning
Der nächste Tag bringt uns ab Plessa weg vom roten Adler und endlich hin zum roten Lausitzer Teufelchen – vielleicht ist ja nun endlich Schluss mit Desaster! Wir fahren über eine endlose staubige Baustelle zum Braunkohlen-Tagebau-Museum F60 mit dem riesigen Kettenbagger. Ein seltsam gekleideter Mensch weist uns darauf hin, dass wir uns im "Steigerbüro" hätten anmelden müssen, in Bergwerken zähle man Ein- und Austretende, bilde die Differenz und entscheide dann, ob man jemanden suchen muss. Bis Senftenberg sind es dank Umwegen 104 km. Wir übernachten wieder bei Bett+Bike. Es gibt für den Fernseher auf dem Zimmer tatsächlich eine Fernbedienung mit nur 3 (drei) Knöpfen! Schon wieder der Teufel?
Am 16. Mai sollen es 82 km bis Cottbus werden. Roter Adler und roter Teufel sind hier auf der Beschilderung am Weg treulich vereint. Wir sind im Beritt der Sorben, alle Schilder sind zweisprachig. Die Gegend enthält viele große Seen, die durch die Flutung ehemaliger Braunkohle-Reviere entstanden sind.
Bekanntlich liegt laut Verkehrsfunk nichts so oft auf Straßen und Autobahnen herum wie Spanngurte. So auch hier: Alfred ergänzt seine Gepäckkonstruktion um einen Spanngurt, den Gerhard in Spremberg auf der Straße findet.
Das Cottbusser Waldhotel ist fest in der Hand von Radfahrern. Wir wollen am nächsten Tag den Spreewald besuchen und buchen für zwei Nächte. Ein Engländer, der im letzten Hotel seine Sonnenbrille vergessen hat, wundert sich am Empfang, dass das Hotelpersonal im Osten Deutschlands kein Englisch versteht. Ich gebe den Dolmetscher, verweise auf den ehemaligen Eisernen Vorhang und verdächtige doch im Grunde nur wieder den Teufel.
Am nächsten Tag geht es in den Spreewald nach Burg und wieder nach Cottbus zurück. Roter Adler und roter Teufel erhalten hier Gesellschaft durch eine radelnde grüne Gurke.
Der 18. Mai ist der Tag unserer Rückreise. Auf dem Weg zum Bahnhof verheddert sich einer von Alfreds Spanngurten mit seinem Haken in der Hinternabe und muss von Gerhard gekappt werden. Der listige Teufel hat also dafür gesorgt, dass der in Spremberg gefundene als einziger weiterhin funktioniert und Alfred rettet! (Und auch das herrliche Wetter ohne Regen ab Raben schreibe ich dem Teufel gut.)
Zum Schluss noch eine Bemerkung zum "Migrationshintergrund": Beim Umsteigen in Berlin-Spandau sehe ich eine junge Frau mit Kopftuch, die auf Deutsch mobil telefoniert. Ihr Telefon hat sie dafür in ihr Kopftuch gesteckt wie eine Freisprechanlage. Dagegen kann kein Teufel etwas haben.
Günther Gräning