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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Wir setzen Trends

Reto habe ich in Airolo getroffen. Reto kommt gerade aus der Türkei. In Airolo auf der Südseite des Gotthardpasses beginnt seine letzte Etappe auf dem Weg nach Baar im Schweizer Kanton Zug. Wir haben uns bereits beim Frühstück in einem einfachen Bett& Breakfast gesehen, kommen jedoch erst später auf dem Platz vor dem örtlichen Coop-Laden ins Gespräch. Reto versorgt sich vor dem Anstieg zum Pass mit Obst und Getränken.

Dass der junge Schweizer bereits einige Wochen unterwegs sein soll, ist seinen locker gefüllten Packtaschen kaum anzusehen. "Für die letzte Etappe gönne ich mir, einen Teil des Gepäcks im Begleitfahrzeug zu deponieren", sagt er. Begleitfahrzeug? Zu sehen ist nur Retos Kumpel, der einen kleinen Rucksack auf dem Rücken trägt und den Freund mit seinem Mountainbike auf der letzten Etappe der Fernfahrt begleiten will. Aber klar, beim Frühstück saß noch eine junge Dame am Tisch der Radler und vor der Pension stand ein Kombi mit Aufklebern eines Sportgeschäftes. Das also war das Begleitfahrzeug, das nun längst mit einem Teil von Retos Ausrüstung aus Airolo verschwunden ist.

In Schaufenstern, auf Autos oder Plakatwänden – das Fahrrad wird vielfältig für Werbezwecke ­eingesetzt und spiegelt damit auch den enormen Statuswandel, der mit der Velomobilität verbunden ist. Auf eine neue, eine bewegliche Fahrrad-Werbeaktion bin ich vor einigen Wochen in der Schweiz gestoßen.

Fahrradsternfahrt zu Werbezwecken Fahrradsternfahrt zu Werbezwecken

So etwas wirft Fragen auf. Antworten darauf hat der Schweizer Velofahrer: Er ist nicht ganz frei unterwegs, sondern ist Teil einer Radsternfahrt, die ein großer Ferienkonzern organisiert hat. "Cyclists on Tour" nennt sich das Projekt, das die Firma sponsort. Die Radfahrer werden in den verschiedenen Ländern jeweils von einem Begleitfahrzeug unterstützt, Kost und Logis werden finanziert. Dafür berichten sie regelmäßig über ihre Tour. Die Routen orientieren sich an den Standorten der Ferienresorts, die die Firma in Europa und Nordafrika betreibt. Ein Einkommen ist mit der Reise nicht verbunden. Doch für Reto ist diese Radtour eine Gelegenheit, ohne eigene finanzielle Mittel einige Wochen unterwegs sein zu können.

Beim Abschied kritzelt der Radler seine E-Mail-Adresse auf eine Werbekarte des Sponsors, danach verschwindet er mit seinem Freund auf der alten Gotthardstraße nach Norden.

Was treibt einen Anbieter von ­Ferienresorts dazu, ausgerechnet Fahrradreisende für seine Werbezwecke einzusetzen? Diese Frage beschäftigt mich, wieder zurück in Frankfurt, noch länger. Einer Pressemitteilung des Sponsors, der Firma Hapimag, entnehme ich, dass aus Anlass eines Firmenjubiläums die Idee geboren wurde, Radfahrer auf Tour zu schicken. Als Gegenleistung zu der bezahlten Tour werden von den "Cyclists on Tour" regelmäßige Reiseberichte erwartet, die der Sponsor über seine Medienkanäle veröffentlicht.

Trotz ausführlicher Recherchen im Internet wird mir der eigentliche Grund der Werbeaktion nicht restlos klar. Welchen Reiz kann es für Urlauber in einem Ferienresort haben, Radfahrern via Bildschirm auf ihren Reisen zuzuschauen? Wird hier der eigene Traum vom ungebundenen, spontanen Reisen ausgelagert? Fahren die Radfahrer und Radfahrerinnen in Vertretung der weniger mobilen Urlauber durch die Lande? Und was bedeutet das für die Radtouristen selber? In der Regel daran gewöhnt, individuell zu reisen und spontane Entscheidungen über den Fortgang der Reise zu treffen, steht ihnen nun ein Begleitfahrzeug zur Seite und wird im nächsten Ferien-Resort gute Laune erwartet.

Ich krame die "Cyclists on Tour"-Werbekarte mit Retos E-Mail-­Adresse hervor. Vielleicht kann der junge Schweizer mir bei der Beantwortung meiner Fragen helfen.

Wenige Tage später kommt eine lange Nachricht aus der Schweiz. Reto schreibt zu meinen Zweifeln an der Begleitung durch ein Auto, dass ihm nur in der Türkei der Fahrer dicht auf den Felgen gewesen sei. Begegnungen mit den Einheimischen wurden durch den "Bodyguard", der seine Sache besonders gut machen wollte, erschwert. Das bedauere er, denn genau diese Begegnungen seien das Salz in der Suppe auf einer solchen Reise. "Als Radfahrer ist man gerne gesehen und man wird oft angesprochen oder per Hupen angefeuert."

Später, so Reto weiter, unterstützten ihn die jeweiligen Begleitfahrer lediglich bei der Unterkunftssuche. Die damit verbundene Zeitersparnis kam ihm entgegen, da er abends am Etappenziel noch seine Reiseberichte für den Sponsor ­schreiben musste.

"Von anderen Radfahrern weiß ich, dass sie den engen Kontakt zum Begleitfahrzeug schätzten und sogar wünschten. Nicht alle Radfahrer teilten meine Vorstellung vom Unterwegssein als Tourenradler. Ich wollte möglichst wenig vom Begleitauto sehen. Für den Sponsor war das zum Glück in Ordnung.

Nach einigen Tagen des einfachen Radreisens genoss ich den Luxus und meinen VIP-Status im Resort (dadurch unterschied sich ja diese Reise von meiner letzten großen Tour (www.travelo.ch)). Viele Gäste schienen es zu schätzen, dass ich sie in Gedanken auf ein großes Abenteuer mitnahm. Berichtet habe ich von den Begegnungen unterwegs: Vom Tee trinken in der Türkei, von der Kommunikation mit Griechen, die nur griechisch sprechen, von Giovanni, der mich zu sich und seiner Familie eingeladen hat, vom arbeitslosen Italiener, der mir via warmshowers.org ein Bett angeboten hat, vom Wind, der mich in Südkreta fast um den Verstand gebracht hat, von italienischen Velomechanikern, die mir auch nach Ladenschluss und fast gratis aus der Patsche geholfen haben, vom Regen und von der Hitze ... Ich konnte die einen oder anderen Gäste mit meinen Reiseberichten begeistern – was will ich mehr? Was das Ganze der Hapimag-Idee bringt, ist mir jedoch auch nicht ganz klar."

Also neue Fragen. Antworten darauf erhoffe ich mir von der Hapimag-Pressestelle in Baar am Zuger See. Dort wird die Abteilung "Corporate Communications" tätig und liefert nähere Informationen: Ziel der Aktion sei es gewesen, mit Hilfe der Erlebnisse der Radfahrer die vielfältigen Urlaubsmöglichkeiten in der Nähe der Resorts hervor­zuheben. Aus den Berichten der Radler sollte ein Fundus an Tipps entstehen, der den Hapimag-Mitgliedern für künftige Reisen zur Verfügung gestellt werden soll.

Für das Velo als Verkehrsmittel sprach, dass man damit sehr nahe an den Menschen und Kulturen ist. "Mit dem Auto und auch mit dem Motorrad lässt sich dieser Austausch nie so intensiv erleben. Zudem wollten wir aufzeigen, was aus eigener Kraft geleistet werden kann – und zwar nicht von Profisportlern. Der Radfahrer erzählt seine Geschichten und wir sorgen für deren Verbreitung."

Und wie wurden die Radfahrer ausgesucht? "Wir haben das Projekt auf unserer Webseite und in Social Media ausgeschrieben. Darauf haben sich rund 30 interessierte Radfahrer mit teilweise sehr kreativen Mitteln beworben (Videos, Broschüren, Basteldokumente...). Je fünf Personen haben wir danach zu zwei Castings eingeladen. Den Fokus legten wir einerseits auf die kommunikativen Fähigkeiten, andererseits natürlich auch auf die Fitness und Erfahrungen als Radfahrer." Die ausgewählten Radfahrer absolvierten einen medizinischen Fitnesscheck.

Bezahlt wurde ein Pauschalbetrag für Essen und Übernachtung, auch sämtliche Transportkosten wurden übernommen. Der Lohn war das Erlebnis und das Abenteuer, aber kein Geldbetrag. Die Radfahrer fuhren mit ihren eigenen Rädern und erhielten für Service und Ersatz­material einen Kostenzuschuss.

Wenn man der Abteilung "Cor­porate Communications" glauben darf, erlebten die Radfahrer be­geis­terte Empfänge in den Resorts. Auch unser Gewährsradler Reto hatte davon berichtet. Das Inter­esse an den Reisevorträgen war offensichtlich groß. Einzelne Radfahrer haben heute noch Kontakt mit Personen, die sie auf der Tour kennengelernt haben.

Was das Ganze der Hapimag-Idee bringt? Diese Frage hatte Reto im letzten Satz seiner E-Mail unbeantwortet gelassen. Die Kommunikationsabteilung in Baar bessert hier nach: "Ich denke, dass es uns gelungen ist, unsere Resorts – die Länder, Kulturen und Menschen – untereinander dank dem Radfahrerprojekt besser zu vernetzen. Wir wollten uns mit einer trendigen Idee als modernes Unternehmen positionieren und vor allem auch jüngere Menschen auf uns aufmerksam machen."

Trendig, modern, jung? Man erinnert sich noch an die Zeiten, als man sich verschwitzt und regennass vor jedem Hotelportier fürchtete oder im Bekanntenkreis mitleidig für seine Veloleidenschaft belächelt wurde. Doch endlich scheint das Fahrrad hineingefahren zu sein in die "Mitte der Gesellschaft". Dutzende Veranstalter bieten gepäckfreie, fertig organisierte Radurlaube an und enorm viele Menschen verbringen einen Teil ihrer Ferien auf dem Rad. Dank sprunghafter Entwicklung der Kommunikationstechnologie sind wir überall erreichbar und können von (fast) überall unsere Routen planen und Reiseberichte absondern. Doch trotz dieser Entwicklungen bleiben längere, individuelle Radreisen weiterhin einer relativ kleinen Gruppe von Velofahrern vorbehalten. Denen, die die dafür notwendige Leidenschaft und – nicht zu unterschätzen – Leidensfähigkeit aufbringen. Inzwischen ist mit dieser Art des Reisens offensichtlich ein besonderer Status verbunden, der überraschenderweise nun auch von anderen Gruppen der Gesellschaft wahrgenommen wird: als Abenteuer oder als Verkörperung des eigenen Traums von der Flucht aus dem Alltag. Firmen wie Hapimag scheinen das erkannt zu haben. Wo andernorts Extrem-Bergsteiger Reinhold Messner zu Vorträgen bei Firmenevents geladen wird (und damit gutes Geld verdient), setzen andere auf Radfahrer (die – bisher – damit noch kaum gutes Geld verdienen können). Reto hatte für das Projekt seinen Job gekündigt. Nun muss er sich auf die Suche nach einer ganz normalen Arbeitsstelle machen, um sein Leben (und weitere Radreisen) finanzieren zu können.

Peter Sauer


Dynamik und Solidität

Brillen, Zigaretten, Geldanlagen, Kunst oder Urlaubsresorts - es gibt kaum ein Produkt, das nicht mit dem Fahrrad beworben werden kann. Das Gefährt steht für Dynamik, für Solidität, für Sportlichkeit und Lebensfreude, für Kunst, Modernität und Kreativität. Werbeprofis machen sich sein Image zunutze und setzen es in der Werbung weltweit agierender Konzerne ein. Aber auch in kleinen Seitenstraßen der Stadt, in Galerien oder bei Optikern versucht man, mit einem Velo die Aufmerksamkeit der Passanten auf das eigene Produkt zu lenken. Vor kurzem noch dienten Fahrräder als bessere Plakatständer, mit deren Hilfe sich lokale Politiker im Gespräch hielten. Jetzt ist das Velo, ob wir's passend finden oder nicht, auch in der großen Werbung angekommen.

Peter Sauer

Fahrrad in der Werbung Foto: Peter Sauer