Wer darf in Zukunft wo fahren und gehen?
Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht
Die in den nächsten Monaten zu erwartende Entschilderung von sehr vielen Radwegen, die nicht benutzungspflichtig sind, wird viele Radfahrer vor die Frage stellen: wo darf und soll ich fahren, muss ich auf die Straße auch wenn ich nicht will? Sie wird Autofahrer vor die Frage stellen: wo muss ich mit Radfahrern rechnen, darf ich einen Radfahrer immer noch zurechtweisen ("da ist dein Radweg!"), wenn er vor mir auf der Straße fährt? Sie wird Fußgänger vor die Frage stellen: muss ich vom Radweg auf dem Bürgersteig wegbleiben, ja ist da überhaupt noch ein Radweg?
Hier wird's eng auf dem benutzungspflichtigen Weg
Foto: Peter Sauer
Der Wegfall der Ausschilderung bei den meisten Radwegen wird in einige wenige Grundszenarien münden. Wir stellen die Szenarien Null bis drei vor und erläutern die Konsequenzen für Radfahrer, Autofahrer, Fußgänger.
Szenario Null – die Schilder bleiben stehen: es ändert sich nichts, der Radweg bleibt benutzungspflichtig.
Dieses Szenario wird es voraussichtlich auf einigen Hauptarterien des KFZ-Verkehrs nach wie vor geben, etwa auf der Adickesallee oder der äußeren Hanauer Landstraße. Wo die Benutzungspflicht aufgrund besonderer Verkehrsbelastung und Gefahrenlage bestehen bleibt, ist aber an die Qualität der Radwege (Breite, Oberfläche, Winterdienst, Schutz vor Falschparkern, Baustellenmanagement, Trennung von Fuß- und Radweg) ein hoher Anspruch zu stellen.
Weiterhin benutzungspflichtige Radwege werden in der Regel durch die blauen Zeichen für Radweg (nur Fahrradsymbol, bei Planern "Zeichen 237" genannt) oder getrennter Geh- und Radweg (Fußgänger- und Fahrradsymbol nebeneinander, senkrechter Trennstrich, "Zeichen 241") ausgewiesen.
Ausschilderungen als benutzungspflichtige gemeinsame Geh- und Radwege (Fußgänger- und Fahrradsymbol übereinander, horizontaler Trennstrich, "Zeichen 240") sollte es nach unserer Ansicht innerorts gar nicht mehr geben. Selbst Verkehrsexperten des ADAC (!) unterstützen uns in dieser Position. Diese Regelung geht einseitig zu Lasten von Radfahrern und Fußgängern, die sich ständig in die Quere kommen.
Es gibt noch eine weitere, meist neuere Variante, bei der ebenfalls keine Änderung zu erwarten ist: als benutzungspflichtig ausgeschilderte Radfahrstreifen auf der Fahrbahn. (Radfahrstreifen sind die Streifen mit durchgezogener weißer Linie, auf denen der Autofahrer nicht fahren darf, im Gegensatz zu Schutzstreifen, s. u.). Diese muss ich als Radler benutzen, ich darf nicht auf die KFZ-Spur (außer in Sondersituationen wie etwa Baustellen oder Falschparker), schon gar nicht auf den Bürgersteig (außer als Kind bis zum 10. Geburtstag).
Szenario Eins – "Angebotsradweg": der bisher ausgeschilderte Radweg ist nicht mehr beschildert, existiert aber noch und ist auch als solcher erkennbar
Für mich als Radfahrer bedeutet dies: eigentlich sollte ich auf der Straße fahren, aber wenn ich mich dafür partout zu unsicher fühle, kann ich auf dem "Bürgersteigradweg" fahren. Ich habe dort auch normale Rechte als Radfahrer, ich muss nicht Schrittgeschwindigkeit fahren, ich darf und soll klingeln wenn ein Fußgänger auf dem Radweg steht oder geht.
Für den Autofahrer heißt das: auch wenn es erkennbar einen "Bürgersteigradweg" gibt, darf er noch lange nicht mit herrischer Geste und unter Hupsignaleinsatz einen Radfahrer dort hinscheuchen. Der normale Platz des Radfahrers ist auf der Fahrbahn, der Autofahrer muss ihn mit ausreichendem Mindestabstand überholen, und wenn dies wegen Gegenverkehrs nicht möglich ist, heißt es warten statt hupen.
Für den Fußgänger heißt das: auch wenn es keine blauen Schilder mehr gibt, gibt es immer noch einen Radweg, auf dem Radfahrer Vorrang haben, den der Fußgänger im Regelfall nicht betreten soll und den er freimachen muss, wenn ein Radfahrer kommt – besonders wenn dieser das durch Klingeln ankündigt.
Dies wird häufig anzutreffen sein, insbesondere dort, wo der Radweg durch eine andere Pflasterfarbe oder sonstwie andere Oberflächengestaltung vom Fußweg abgesetzt ist. In Frankfurt hat man in den 70er und 80er Jahren Fußwege rot und Radwege grau gepflastert, genau andersrum als im Rest der Republik – schon damals eine wenig hilfreiche Extratour. Die Angebotsradwege sind oft durch jahrelange Materialabnutzung nur noch schwer zu erkennen. Wir empfehlen, sie durch Piktogramme besser erkennbar zu machen. Da diese Piktogramme aber auch von den Autofahrern sichtbar sind, ist damit zu rechnen, dass einige von ihnen diese Piktogramme für einen Beschilderungsersatz halten und weiterhin den Radfahrern das erboste "Da ist dein Radweg" entgegenschleudern. Es sollte also gleich auch auf der Fahrbahn per Piktogramm klargemacht werden, dass dies jetzt der Regelplatz für Radler ist.
Szenario Zwei – Radfahren auf dem Fußweg möglich: Dieses Szenario wird signalisiert durch das blaue Fußwegschild mit dem schwarz-weißen Zusatzschild "Radfahrer frei"
Für mich als Radfahrer heißt das: eigentlich ist mein Platz auf der Straße. Wenn ich mich aber sehr unsicher fühle, habe ich weiterhin die Möglichkeit, legal auf dem Fußweg zu fahren. Ich muss allerdings Schrittgeschwindigkeit einhalten (strenggenommen de jure nur 7 km/h), Fußgänger haben Vorrang. Wenn ich die Klingel einsetze, heißt dies nicht "Platz da!", sondern "sein Sie doch so nett und lassen mich vorbei".
Für den Autofahrer heißt es: das zurechtweisende "da ist dein Radweg" ist nicht angesagt. Es gibt dort keinen Radweg, sondern einen Fußweg. Dass unsichere Radler dort unter Hinnahme von Tempo- und Komfortverlust auch radeln dürfen, ist für den Autofahrer unerheblich. Der Radler ist auf der Fahrbahn anzutreffen, dies ist der Normalfall.
Für den Fußgänger heißt das: er hat Vorrang, er muss aber mit Radfahrern rechnen und diese im Rahmen der allgemeinen gegenseitigen Rücksichtnahme passieren lassen. Er darf aber erwarten, dass der Radfahrer Schrittgeschwindigkeit einhält.
Dieses Szenario wird es in den Fällen öfters geben, wo es vorher das blaue Schild für einen benutzungspflichtigen gemeinsamen Geh- und Radweg (Fahrrad- und Fußgängersymbol übereinander, horizontaler Trennstrich) gab. Wir als ADFC möchten, dass die Angebots-Beschilderung "Fußweg – Radfahrer frei" auf die Fälle beschränkt bleibt, wo Tempo 30 partout nicht geht, wo eine Trennung vom Fußverkehr physisch nicht möglich ist und wo für weniger souveräne Radler ein Angebot vorgehalten werden muss. Fahrradpiktogramme auf der Fahrbahn sind auch hier hilfreich, um Missverständnissen vorzubeugen.
Szenario Drei – kein Radweg mehr da: der bisherige Radweg oder das "Radfahrer frei"-Zusatzschild entfällt ersatzlos
Für mich als Radfahrer heißt das: mein Platz ist auf der Fahrbahn, es sei denn ich bin bis zu 10 Jahre alt. Basta.
Für den Autofahrer bedeutet das: der Radfahrer vor ihm darf nicht nur auf der Fahrbahn fahren, es muss es sogar. Hupen und rüffeln zwecklos.
Für den Fußgänger heißt das: er darf den Bürgersteig für sich verteidigen und muss dort keinen Radler dulden, außer Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr – nicht aber deren Eltern, die müssen laut StVo nebenan auf der Fahrbahn bleiben.
Dieses Szenario wird es dort geben, wo erst Bürgersteigradwege gebaut wurden und später die Straße auf Tempo 30 umgestellt wurde. Ein Beispiel in Frankfurt ist die Markgrafenstraße in Bockenheim. In einer Tempo-30-Straße ist die Fahrbahn normalerweise ein sicherer Platz und für jeden Radler zumutbar. Wird Tempo 30 von den Autofahrern notorisch nicht eingehalten, muss es per Blitzer und/oder physische Hindernisse erzwungen werden. Stark befahrene Tempo-30-Straßen sollten wenn irgend möglich mit Radfahrer-Schutzstreifen (die mit gestrichelter weißer Linie, Autofahrer darf ihn bei Bedarf überfahren, Radfahrer hat aber Vorrang, im Gegensatz zum Radstreifen, s. o.) aufgerüstet werden.
Wir vom ADFC halten in Tempo-30-Straßen die komplette Aufhebung des Bürgersteig-Radwegs für richtig, auch wenn sie von einigen unsicheren Radlern als nachteilig empfunden wird. Die Vermeidung von Konflikten mit Fußgängern ist für uns auch ein wichtiges Ziel und in diesem Fall höher einzustufen.
Bertram Giebeler