Ratlos oder Rad ab?
Am 14.11.2012 war ich zum ersten Mal in meinem Leben als Zuhörer bei einer Sitzung des Verkehrsausschusses der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bad Homburg.
Auf der Tagesordnung stand wörtlich "Umfahrungsmöglichkeiten der Fußgängerzone für den Radverkehr". Und vorweg: Wenn demnächst im Vorabendprogramm des Fernsehens nichts Vernünftiges läuft, werde ich wieder ins Rathaus fahren. Warum? Hier kommt es:
Schon die Fahrt mit dem Fahrrad im Dunkeln (mit Licht!) von Kirdorf zum Bad Homburger Rathaus ist ein Erlebnis. Man muss die Fußgängerzone umfahren und erlebt dabei so aufregende Gegenden wie
- die Landgrafenstraße (Vorsicht: Autotüren, rangierende Autos);
- den Schwedenpfad (mit einer Radwegführung, die jemand entworfen hat, der etwas Seltsames geraucht oder getrunken hatte);
- ein Stück Kaiser-Friedrich-Promenade, Thomasstraße, Schöne Aussicht (und das ganze Verkehrsgewühl im Dunkeln).
Aber dafür meide ich ja andere Risiken: kein Bungee-Springen, kein Mount Everest, kein Hochseil…
Die Verkehrsausschuss-Runde im Rathaus umfasst Bürgermeister, Fraktionschefs und andere honorige Personen. Das ändert aber nichts an ihrer Ratlosigkeit. Auch die Verwaltung kann keine Umfahrung anpreisen außer der mir schon bekannten (siehe oben). Sie bietet für irgendwann in der Zukunft den Umbau der Kaiser-Friedrich-Promenade an und verweist auf den einmütig beschlossenen Radverkehrsplan. Und nun beginnt eine längere Diskussion, die ich hier aus dem Gedächtnis rekonstruiere:
Die Lage sei sehr unbefriedigend. Es werde ständig durch die Fußgängerzone in der Louisenstraße geradelt, obwohl das doch verboten sei. Nicht nur von Kindern – die das ja dürfen – sondern auch von Erwachsenen.
Das alles ist für mich nichts Neues. Neu jedoch ist für mich, dass morgens vor 11 Uhr zwar "Lieferverkehr" mit Autos erlaubt ist, nicht jedoch Radfahren. Ich bin oft mit dem Rad zum Markt gefahren in der Annahme, dass da, wo Autos fahren dürfen, auch Fahrräder erlaubt seien. In Zukunft bin ich schlauer und nehme in meinen Gepäcktaschen etwas Lieferbares mit, eine leere Pfandflasche etwa oder einen Eierkarton. Damit bin ich dann Lieferverkehr.
"Rollern" auf dem Rad mit nur einem Fuß auf der Pedale sei erlaubt, erfahre ich. Ist das sicherer als Radeln? Eher nicht. Gefordert werden Kontrollen und mehr Ordnungspolizei. Das erfordere aber ständig mindestens vier Menschen, die der Bürgermeister nicht habe und die sich auch nicht rentieren und außerdem anderswo fehlen würden. Merkwürdig: Von umgefahrenen und geschädigten Fußgängern ist überhaupt nicht die Rede (mir ist auch kein solcher Fall bekannt). Kontrollen seien doch destruktiv, heißt es, gefordert seien konstruktive Lösungen. Die Diskussion im Ausschuss kreist jetzt um sich selbst und hat etwas Selbstquälerisches, fast Masochistisches.
Durch wie viele Städte bin ich als Reiseradler schon gefahren! Rote Teppiche hätte man mir fast überall gerne ausgelegt, damit ich ja in der Fußgängerzone Kaffee trinke!
Leider habe ich im Verkehrsausschuss kein Rederecht. Sonst hätte ich gesagt: "Ihr armen Menschen, quält Euch nicht länger – gebt doch die Louisenstraße für (langsames) Radfahren frei. Dann habt Ihr mehr Zeit für Wichtigeres."
Und ich müsste in dem Falle wieder mit dem Vorabendprogramm im Fernsehen vorlieb nehmen!
Günther Gräning