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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Die Firth of Forth Bridge, Symbol schottischen Ingenieurstolzes
Foto: Peter Sauer

Himmel, Wasser, Berge, Schafe

Unterwegs in Schottland

Eine Freundin zeigt auf ihrem Laptop Bilder einer Schottland-Wanderung. Weiter Himmel, grüne Hügel, reichlich Wasser, mächtige Steine – und Anorak-Temperaturen. Kurz darauf erscheint in der Radwelt ein Beitrag über eine Schottlandtour. Daraufhin leiht uns die Nachbarin ihren Reiseführer. Im Laufe der nächsten Monate treffen sich über 15 handliche Schottlandreiseführer aus dem Freundes- und Bekanntenkreis bei uns. Alle, offensichtlich wirklich alle, waren schon da. Aber keiner von ihnen mit dem Fahrrad.

Fangen wir an: Per Bahn nach Amsterdam, von dort mit dem Rad nach Ijmuiden zum Fährhafen. Das Schiff bringt uns fast bis nach Newcastle, die letzten Kilometer müssen wir wieder mit dem Rad überwinden, zum dortigen Bahnhof. Der East-Coast-Express nimmt unsere Räder in seinen Packwagen auf und rast damit (und mit uns im Abteil) nach Edinburgh Waverly Station. Dort stürzen wir uns mutig in den Großstadt-Feierabend-Linksverkehr und erreichen unfallfrei unser Bed & Breakfast. Bis hier sind wir bereits 1.200 Kilometer und fast drei Tage unterwegs, ohne dass es einer besonderen Anstrengung bedurft hätte – der Fahrradtacho weist nicht mehr als 45 Kilometer auf. Dass die Anreise nicht ganz stressfrei ist (kriegen wir den Zug?, fährt die Fähre pünktlich?, fallen die reservierten Bahntickets in Newcastle wirklich aus dem Automaten, und wo steht dieser?, haben britische Züge einen Gepäckwagen, und, wenn ja, hängt dieser vorne oder hinten am Zug?), sei dabei nur am Rande erwähnt.

Apropos Gepäckwagen: Die per Internet gekauften Zugfahrkarten unterliegen einer Zugbindung, ebenso die Reservierung der Veloplätze. Wir sind rechtzeitig genug am Bahnhof in Newcastle, um uns einen früheren Zug anzuschauen. Wo könnte der Fahrradwagen sein, wo die reservierten Sitzplätze? Der Schaffner des Zuges kommt auf uns zu und fragt, wohin wir wollen. Edinburgh, sagen wir, aber erst mit dem nächsten Zug. Warum warten?, kommt die Antwort, er habe Platz, wir könnten mitfahren. Ja, in Deutschland sei er auch schon gewesen, seine Frau sammele Meißner Porzellan, jetzt aber bitte die Räder in den Packwagen, wir müssen los. Ich mache euch in Edinburgh den Waggon wieder auf. Edinburgh Waverly erreichen wir dadurch eine Stunde vor der Zeit.

Die Briten sind höflich, die Briten sind hilfsbereit, die Briten sind (meistens wenigstens) freundliche und rücksichtsvolle Menschen. Das macht dann vor Ort alles unkomplizierter als erwartet (oder im Internet recherchiert). Dazu kommt natürlich, dass wir uns halbwegs im Englischen verständigen können. Wir sind nicht nur in der Lage, einen Kaffee zu bestellen, sondern verstehen auch die Anweisungen des Barmannes, der uns bittet, Platz zu nehmen, der Kaffee werde gebracht. Dass der Kaffee dann nicht ganz unseren kontinentaleuropäischen Vorstellungen entspricht, schmälert das erste Erlebnis in einer gastronomischen Einrichtung auf fremdem Boden nur unwesentlich. Zukünftig bleiben wir aber besser bei Tee.

Apropos Tee: Gut gefallen hat uns, dass es weiterhin in jedem Quartier, ob einfache Pension oder Hotel, Wasserkocher und Tee und Kaffee im Zimmer gibt, so dass sich der durchgefrorene (davon später mehr) Reisende gleich nach Bezug des Zimmers mit einer heißen Tasse Tee aufwärmen kann. In Deutschland haben wir das bisher nur einmal erlebt, in einer kleinen Pension in Rothenburg ob der Tauber. Der Inhaber war schon einmal auf der Insel.

Edinburgh ist die Hauptstadt der Schotten und, zu recht, das touristische Zentrum. Sehenswert ist die Altstadt unterhalb der Burg, die Burg selbst (vor der sich aber Touristen aus aller Welt stauen), die "New Town", die Hügel in der Stadt mit ihren sensationellen Aussichtspunkten und die Museen, die ohne Eintrittsgebühr (!) zu besichtigen sind. Trotz der hügeligen Topographie sind in Edinburgh erstaunlich viele Menschen per Rad unterwegs, rasen mit hoher Geschwindigkeit die steilen Straßen hinunter oder quälen sich rotgesichtig mit gelben Warnwesten wieder hinauf. Auch in Großbritannien ist der Fahrradverkehr auf dem Vormarsch. Radstreifen entlang von Hauptstraßen und Aufstellfächen an einigen Ampelkreuzungen zeugen davon. Der Nachholbedarf ist aber unübersehbar: Auf vielen Straßen im Land klaffen auf der linken Seite der Fahrspur (Linksverkehr!, ihr erinnert euch?) Löcher im Asphalt, die Radfahrer zu voller Konzentration und waghalsigen Ausweichmanövern zwingen.

Foto links: Essen in Schottland: Schnellimbiss in Edinburgh ...
Foto rechts: ... oder warten auf einen freien Tisch im Fisch-Restaurant in Portree
Fotos: Peter Sauer

Edinburgh verlassen wir auf einer ehemaligen Bahntrasse, die zu einem Radweg ausgebaut wurde. Das Besondere daran können wir erst im Nachhinein feststellen: Dieser Weg hinaus aus der Großstadt ist das einzige Stück Straße, das über mehrere Kilometer brettflach verläuft. Der Rest des Landes ist wellig, hügelig, bucklig, bergig – nur nicht eben. Aber das war zu erwarten. Das stand in allen Reiseführern.

Apropos Straße: Ja, es wird weiterhin links gefahren. Nein, das ist kein Problem – vorausgesetzt, man konzentriert sich ein wenig und denkt vor jeder Abzweigung scharf über die Fahrtrichtung nach. Ja, man kommt lebend durch einen Kreisverkehr (bei den ersten Versuchen kann man schiebend auf dem Fußweg üben. Andere können das nicht und tauschen das gerade am Flughafen geliehene Auto gleich nach dem ersten Kreisel mit erheblichen Blechschäden gegen ein neues aus). Nein, Radwege gibt es so gut wie nicht in Schottland. Ja, die Straßen sind oftmals sehr schmal, sogenannte "Single Track Roads". Nein, die Briten bedrängen Radfahrer nicht, sie fahren (meist) sehr rücksichtsvoll und bleiben auch auf den "Single Track Roads" geduldig bis zur nächsten Ausweichbucht hinter uns. Auf Hauptstraßen mit Wochenendausflugsverkehr ist das Radfahren auch hier kein Vergnügen, beängstigend aber ist es nie. Nur die Touristen vom Kontinent überholen oft etwas knapp – so wie die Briten bei uns. Man kommt sich offensichtlich näher, wenn man auf der "falschen" Seite steuert.

Erstes touristisches Highlight hinter Edinburgh ist die Firth of Forth Bridge. Der 100 Jahre alte Stahlkoloss ist der Eisenbahn vorbehalten, doch daneben verläuft eine riesige Straßenhängebrücke, die einen breiten separaten Radstreifen bereit hält. Von dem aus hat man dann einen wunderbaren Blick auf die rostrote Sensation britischen Ingenieurschaffens. Die ständig der Nordseeluft ausgesetzte Eisenkonstruktion wurde 100 Jahre lang ununterbrochen von Rost befreit und frisch gestrichen. Wo wir von einer Sisyphusarbeit sprechen, vergleicht der Schotte seinen Job mit dem Streichen der Forth Bridge. Doch nun gibt's salzwasserfeste Farbe, die Brücke ist zum ersten Mal wirklich fertig lackiert und gerüstfrei zu bestaunen. Zukünftig müssen sich auch die Schotten an Sisyphus orientieren, wenn ihnen ihre Arbeit endlos und sinnlos erscheint. Vorbei ist's mit "It's like painting the Forth Bridge".

Hinter der Brücke liegt Inverkeithing, wo wir uns in einer Bäckerei Pasties holen. Das sind mit Fleisch oder Wurst oder Gemüse gefüllte Teigtaschen, die warm gegessen werden und zu England gehören wie Fischbrötchen zur Ostseeküste. Auf einer Bank vor einer Kirche essen wir unser Menü. Angesichts unserer Räder nimmt ein alter Herr neben uns Platz und erzählt, nach freundlichen Fragen zum Woher und Wohin, die Geschichte seiner großen Radtour. 1955 war's, von Schottland nach Paris. Weitere Fernfahrten konnte er nicht vorweisen – das liebe Geld, die Familie, die Arbeit –, ist aber auch im hohen Alter als sportbegeisterter Brite interessiert an unserem Tun.

Der erste Campingplatz bei Kinross liegt schön, aber leider in Hörweite einer Autobahn. Die Wiese ist groß, und die Wiese ist grün. So grün, so dicht, wie man sich britische Wiesen nur vorstellen kann. Das setzt sich fort, auf allen Zeltplätzen erwarten den Reisenden golfplatzähnliche Wiesen, die am Anfang der Saison Ende Mai noch wenig strapaziert sind. Über Perth, wo uns die Schottische Nationalbank lehrt, dass wir nur 250£ pro Tag aus dem Automaten erhalten können (dieser hatte sich bei 300£ beharrlich geweigert, uns zu bedienen, ohne jedoch Gründe dafür anzugeben), fahren wir nach Blairgowrie, einem kleinen Städtchen am Rande der Highlands. Der dortige Zeltplatz gehört einem LKW-Fahrer, den wir von unterwegs telefonisch angefragt hatten und der wenige Minuten nach uns mit einem riesigen Holzlaster auf seiner Campingwiese eintrifft. Er knöpft uns die vereinbarten
10£ ab. Dafür können wir unser Zelt aufstellen, duschen, Geschirr spülen und die Toilette benutzen – ein fairer Preis, wie ich finde, auch wenn wir hier unseren eigenen Tee kochen müssen, wie auch die Kartoffeln und das Gemüse. Gegen den Durst nach Feierabend gibt es Dosenbier aus dem örtlichen Coop-Markt.

Nach der Abfahrt am nächsten Morgen radeln wir in die Highlands. Weite, Himmel, Schafe, Moore – viel mehr ist nicht los im Schottland jenseits der Großstädte. Das Auge erholt sich, ebenso der Geist. Bei sonnigem Wetter fahren wir, bergauf angestrengt, bergab entspannt, niemals aber eben, nach Braemar. Braemar ist das touristische Zentrum der Cairngorms-Mountains. Von einem touristischen Zentrum in Schottland sollte man jedoch nicht zu viel erwarten. Hier ist zwar die Queen zu Gast bei den sommerlichen Highland-Games, aber ansonsten beschränkt sich der Ort mit seiner Straßenkreuzung auf drei alte Hotels, ein paar Bed & Breakfasts und den "Hungry Highlander", dessen asiatischstämmige Betreiber die Grundversorgung mit Fish'n'chips, Sausages, Icecream und Softdrinks gewährleisten. Dazu kommt eine Touristeninformation und ein Campingplatz von umwerfender Qualität (siehe "grüne Wiese"). Der Coop-Dorfladen hält für eine Notversorgung genug bereit – gekocht wird, was im Laden zu haben ist. Immerhin hat er am Sonntag geöffnet, Dosenbier gibt es ebenfalls.

Da die Queen nicht vor Ort ist, machen wir uns auf den Weg zu ihr. Balmoral, die schottische Sommerresidenz, ist den meisten Inseltouristen bekannt. Uns jetzt auch. Wir haben uns der üblichen Touristen-Tour angeschlossen, anschließend die Cafeteria besucht und damit unseren Beitrag zur Unterstützung der britischen Krone geleistet.

Foto links: Bei 20% Steigung hilft nur noch Schieben (Cairngorms-Mountains)
Foto rechts: Bed & Breakfast mit beheizbarem Zimmer in Tomintoul
Fotos: Peter Sauer

Hinter Balmoral wird aus dem sonnigen schottischen Frühsommer, unter dem die Bevölkerung bereits leidet ("Heat wave!", "It's like Spain!" hört man sie bei gut 20° C sagen, die Schotten) ein nieseliger Spätfrühling, die Temperaturen sinken drastisch. Wir sind froh darüber, Handschuhe eingepackt zu haben, die jetzt ans graue Licht kommen. Mit Regenhose und Anorak geht es weiter.

Das im (Rad-) Reiseführer genannte Hotel ist telefonisch nicht zu erreichen. Die Bedienung in dem Café an der Straße, das gerade schließt, weiß von nichts. Trotzdem hinfahren, sich dem Risiko aussetzen, dass das Hotel geschlossen ist und wir deshalb am späten Nachmittag eine steile Passstraße zum nächsten Ort überwinden müssen? Bei Kälte und Nieselregen? Oder nach rechts in die Gegenrichtung rollen, ins nächste Dorf, in der Hoffnung auf eine näher gelegene Übernachtungsmöglichkeit? Wir entscheiden uns für Letzteres und fahren nach rechts, und fahren weiter, und weiter, und weiter. Schottland ist groß, Schottland ist dünn besiedelt. Die Straße ist leer, kaum ein Auto ist unterwegs. Es ist kalt, es nieselt. Ein Dorf taucht auf, aber ohne Hotel. Ein Hotel taucht auf, aber ohne Licht. Es ist Montag, montags ist Ruhetag. Also weiter, immer leicht bergab, immer in dem Gedanken, dass wir morgen den ganzen Weg wieder zurückfahren müssen. Es ist zum Verzweifeln. Doch irgendwann hängt eine blaue Fahne mit dem weißen Schottenkreuz hoch über einer handgeschriebenen Speisekarte, drei Landrover unterschiedlicher Baujahre auf dem Parkplatz signalisieren: Hier wird eingekehrt. Glendkindie Arms Hotel, an der A97.

Apropos einkehren: Die Gasträume der Pubs, wie die Gaststätten in Britannien heißen, sind mit dicken Teppichen ausgelegt. Anfangs traut man sich mit seinen nassen Dreckschuhen kaum ins Lokal, später dann möchte man gar nicht wissen, was sich alles im Lauf der Jahre in diesem Teppich gesammelt hat. Eine weitere Besonderheit: selbst in den kleinen Dorfkneipen reicht es nicht aus, einfach "ein Bier, bitte" zu bestellen. Umgehend kommt die Frage, welches Bier man möchte. Antwortet bloß nicht mit "ein Ale bitte". "Welches Ale?", wird die Wirtin zurückfragen. Während die Wirtin hinter der verwirrend großen Ansammlung von Zapfhähnen auf eine passende Antwort wartet, hilft der Mann vor dem Tresen dem durstigen Touristen und empfiehlt das "local ale". Darauf hätte dieser natürlich auch selbst kommen können. Zukünftige Anwendungen des Gelernten zeigen: es funktioniert.

Zu dem lokalen Ale werden im Glenkindie Arms Hotel Kartoffeln, Lammgulasch und Salat serviert. Wer bisher glaubte, die britische Küche tauge nichts, wird hier eines Besseren belehrt. Das Essen ist ausgezeichnet, so wie auch das Ale, wie wir dem Mann am Tresen mehrfach bestätigen. Zufriedenheit auf allen Seiten. Der Tag ist gerettet, die Räder stehen im Schuppen, das Gepäck liegt im Zimmer, die vor kurzem noch verzweifelten Touristen sind satt, glücklich und müde. Die drei Landrover verlassen nacheinander den Parkplatz, Ruhe kehrt ein im Glenkindie Arms. Dass im Zimmer das Fenster nicht richtig schließt, der Wasserhahn tropft und die Handtücher bereits benutzt aussehen, spiegelt sich im Übernachtungspreis wieder, kann das Touristenglück aber kaum noch schmälern.

Der Morgen beginnt mit einem ausgezeichneten Frühstück. Standard ist weiterhin: Eier (Spiegel- oder Rühr-), gebackene Speckscheiben, gegrillte Tomate, kleine Bratwürstchen oder eine Scheibe gebratenen Haggis oder Bloodpudding, dazu gebackene Pilze und Bohnen in roter Soße. Alternativ erhältlich sind Rührei mit Lachs oder einfach nur Porridge. Nachgespült wird mit reichlich Tee mit Milch und einer Scheibe Toastbrot mit Orangenmarmelade. Danach überwindet man die vermaledeiten Umwegkilometer vom Vortag problemlos, nun leicht bergan im Nieselregen. Und kommt zurück zu dem Café, in dem die Bedienung gestern keine Auskunft geben konnte. Heute kann sie immerhin einen Kaffee bieten, der seinen Namen durchaus verdient.

Die Straße steigt nun stärker an, wir nähern uns dem Hotel, dessen Telefon gestern nicht besetzt war. Ein großes Schild am Haus weist darauf hin, dass man bitte anrufen möge, falls man ein Zimmer wolle. Dabei stellen wir fest, dass die im (Rad-) Reiseführer angebene Nummer in einer Ziffer von der auf dem Hotelschild abweicht. Eine Ziffer! Eine einzige Ziffer verschafft uns zusätzliche 50 Kilometer. Und das in einem Reiseführer, den wir ansonsten gar nicht genug loben können (Kay Wewior: Das Schottland RadReiseBuch. ISBN 978-3-8334-4853-9).

Foto links: Tiere in Schottland: Schafe, Schafe, Schafe
Foto rechts: Single Track Road mit geduldigen Autofahrern (Isle of Skye)
Fotos: Peter Sauer

Direkt hinter dem Hotel wird es steil, 20% Steigung zeigt ein Schild. Wir schieben mühsam im Nebel-Niesel bergan. Oben ist weiterhin Nebel, der die nächsten Steigungen gnädig verbirgt. Mit dem großen Ritzel geht es langsam voran bis zum Lecht-Pass. Dort erwartet uns ein Skizentrum alpinen Ausmaßes, das sich von der "Talstation" am Lecht-Pass (auf gut 600 Metern über dem Meeresspiegel) hinaufzieht in die umliegenden Berge, von denen kaum einer höher ist als 1.200 Meter. Fotos im Ortsmuseum von Tomintoul beweisen jedoch, dass es harte, schneereiche Winter und eine ordentliche Schneefräse gibt im schottischen Hochland. Wir suchen uns vorsichtshalber wieder ein heizbares Zimmer.

Hinter Inverness, am anderen Ende von Loch Ness, geht es dann wieder auf die Campingwiese. Die Sonne scheint, tags ist es warm und hell, aber bei weitem nicht mehr so wie in "Spain". Ein eiskalter Wind macht uns abends beim Kochen zu schaffen – und das Dosenbier will bei den Temperaturen auch nicht so recht schmecken. Zum Ausgleich gibt es klare Luft und gute Sicht auf See und Berge und auf all die Touristen, die wie wir die Schleusentreppe am Caledonischen Kanal in Fort Augustus besichtigen.

Weg vom Caledonischen Graben und seinem alten Schifffahrtskanal führt unser Weg über die Berge nach Westen. Aussichtspunkte am Rande der Strecke geben Gelegenheit, die schottische Weite auf sich wirken zu lassen. Kein Ort, kein Haus ist zu sehen, nur Seen, Bäume und Berge unter der nördlichen Sonne.

In Shiel Bridge gibt es eine Tankstelle und einen Zeltplatz, mehr nicht. Das Ganze erinnert an eine einsame Station irgendwo im fernen Westen, irgendwo in Kanada. Die Tankstelle hat einen kleinen Laden, in dem Motorradfahrer einen Kaffee trinken und Zeltplatznutzer ihren Obolus entrichten sowie das kaufen, was es gibt, um daraus ein nahrhaftes Mahl zu bereiten. Das klappt wunderbar, wird aber etwas beeinträchtigt durch den kalten Wind. Als dieser sich legt, wünscht man ihn sich umgehend zurück, denn nun kommen die Mücken aus ihren Behausungen und piesacken die Freunde des Campings. Also bleiben wir in Bewegung, was in der Kälte ausgesprochen gut tut.

Am nächsten Tag erreichen wir die Isle of Skye. Eine Brücke führt hinüber zur Insel, eine verkehrsreiche Straße weiter nach Broadford. Überall entlang der Route weisen Schilder auf Bed & Breakfast hin. Unsere Hoffnung auf ein geheiztes Zimmer erhält jedoch einen erheblichen Dämpfer durch die vielen "No vacancies"-Zusätze unter den Schildern – ein langes Wochenende zu Ehren der Queen lässt viele Briten zum Kurzurlaub in den Norden fahren. Endlich klingeln wir an einer Pension und fragen direkt nach einem Quartier für die Nacht. Nein, auch hier ist alles belegt, aber sie könne ein paar Nachbarinnen anfragen, meint die freundliche Dame. Und siehe da, es gibt ein Zimmer, oben am Berg. Auch dort steht "no vacancies" vor dem Haus, aber für eine Nacht ist ein Zimmer frei. Sogar das schönste, mit Blick auf die Bucht und die Berge der Inselwelt drum herum. Wie soll man darauf kommen?

Portree ist die "Hauptstadt" der Isle of Skye, ein Örtchen mit 2.000 Einwohnern, einer ebenen Hauptstraße von ca. 100 Metern Länge, einem Platz, auf dem die Busse halten und einem kleine Hafen, in dem ein paar Boote und Fischkutter auf Reede liegen. Der Hafen liegt unten, Hauptstraße und Platz auf halber Höhe, die Wohnhäuser stehen entlang steiler Straßen am Berg. Die Zimmervermieterin, deren Bed & Breakfast auf einem Hügel liegt, beantwortet die Frage nach der Entfernung zum Hafen: hin 5 Minuten, zurück 20.

Unten am Hafen gibt es ein Lokal, das bezeichnenderweise "The Lower Deck" heißt. Davor stehen ein paar Touristen und warten auf Einlass. Das Lokal öffnet pünktlich um 18 Uhr, die Wartenden stürzen hinein. Wir lassen uns anstecken, stürzen hinterher und ergattern einen Tisch für zwei. Die Bierbestellung kriegen wir inzwischen fehlerfrei hin, mit der ausführlichen Fischspeisekarte tun wir uns aber noch etwas schwer. Wir bekommen trotzdem das, was wir uns vorgestellt haben. Die Qualität ist wieder mal erstklassig, weit entfernt von den Legenden über die britische Kochkunst. Wegen eben dieser Qualität stehen dann auch schon die nächsten Hungrigen vor dem "Lower Deck" und warten geduldig auf einen freien Platz.

Natürlich kann man auch weiterhin schlecht essen in Schottland. Weiße Toastbrotscheiben, belegt mit ein paar zähen trockenen Scheiben Rindfleisch, garniert mit undefinierbarer Soße, werden als Sandwich verkauft. Labberige "Chips", wie die Pommes hier heißen, dick panierte Fischstücke mit reichlich Essig oder Baked Potatos mit lieblos zusammengeklatschter Beilage stehen in starkem Kontrast zu Makrelenfilet auf Salat, delikatem Fish'n'Chips oder dem bereits erwähnten Lammgulasch im Glenkindie Arms.

Wir sind gute 600 Kilometer unterwegs, als sich die Fahrradkette quietschend meldet. In Broadford soll es ein Fahrradgeschäft geben, doch das existiert nicht mehr. Also quietscht die Kette noch bis nach Portree. Dort ist es Sonntag, das Fahrradgeschäft hat geschlossen. Montag, endlich, betrete ich den kleinen Laden. Hinter dem Tresen kommt der Inhaber hervor. Ich frage nach Öl. Er zeigt mir eine Flasche, die ich kaufen kann. Ich erkläre, dass ich nur ein paar Tropfen brauche, auf der Durchreise bin, eine Ölflasche nicht transportieren will. Ob ich nicht ein Ölkännchen aus der Werkstatt leihen könne...? Leihen?, fragt der Ladenbesitzer. Ich wolle das Öl ja wohl geschenkt bekommen, grinst er und drückt mir ein halbvolles Ölfläschchen in die Hand. Nachdem ich zwei Ketten geschmiert habe, bringe ich das Fläschchen zurück. Was ich schuldig sei, frage ich. Ein Pfund, zwei Pfund? Er lacht, nein, gar nichts, das Öl sei geschenkt. Trotzdem lege ich eine Pfundmünze auf den Tresen. Akzeptiert, ich darf wieder kommen, wenn die Kette das nächste Mal quietscht.

Auf der Isle of Skye fühlt man sich immer ein wenig an die alpine Bergwelt erinnert. Die Landschaft wirkt oftmals wie im schweizer Engadin, rauh, kahl, steil und felsig. Doch wenn man sich umdreht, geht der Blick über das Meer mit seiner Steilküste und den vorgelagerten Felseninseln – von Engadin keine Spur. Die Berge sind ja auch bei weitem nicht so hoch wie in den Alpen. Für schottische Verhältnisse allerdings ist das schon recht dramatisch.

Weiter Himmel, viele Berge, buckelige Straßen, wenig Verkehr (Isle of Skye)
Foto: Peter Sauer

Apropos Berge und Briten: Auf einer Anhöhe kurz vor Inverness wartet im Nieselregen ein englisches Paar auf uns. Die beiden haben ihre Räder abgestellt und uns gebeten, ein Foto von Ihnen zu machen, vor dem Passschild mit der Höhenangabe. 401 Meter über Meer, steht auf dem Schild. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Wir lassen uns trotzdem ebenfalls vor dem Schild ablichten, erklären aber, dass wir uns mit diesem Bild großem Gespött im Freundeskreis aussetzen würden. Wo bei uns in Hessen die befahrbaren Berge schon bis auf fast 1.000 Meter reichen…

Apropos Nieselregen und Briten: Die Briten sind wetterfest. Die Engländerin bei obigem Fototermin fährt in kurzen Hosen durch den kalten Nieselregen und findet Radtouren ganz toll. Der Gatte ist ebenso begeistert. Dass wir hier bereits den ganzen Tag im Regen unterwegs sind, bei höchstens 10 Grad, findet überhaupt keine Erwähnung. Auch auf Campingplätzen sitzen die Briten noch sockenfrei in Sandalen und kurzen Hosen vor ihren Zelten – und das in allen Altersklassen –, während wir uns bereits mit langer Unterwäsche und festem Schuhwerk gegen die Kälte wappnen.

Zelten scheint auf der Insel eine Art von Nationalsport zu sein. Junge und Alte, Arme und Reiche finden auf dem Campingplatz zusammen. 70jährige, die einem teuren Jaguar-Sportwagen entsteigen, bauen ein kleines Wanderzelt auf, ziehen sich Gummistiefel an und setzen ihren Campingkocher in Betrieb. Morgens kriechen sie bei Regen aus ihrem Minizelt, hängen dieses zum Trocknen vor dem Waschhaus auf, während sie in Ruhe auf dem überdachten Vorplatz frühstücken (bei gemütlichen 12 Grad Celsius). Anschließend packen sie die Campingausrüstung in den schicken Jaguar, tauschen die Gummistiefel wieder gegen ihre Lederschuhe, und fahren weiter auf der Suche nach dem nächsten schön gelegenen Zeltplatz. Für uns hat diese Art der Campingkultur den Vorteil, dass wir nicht immer wieder verdattert gefragt werden, ob wir etwa, in unserem Alter, bei diesem Wetter, in diesen Bergen, etc., wirklich zelten wollen. Auch werden wir mit unseren vollbepackten Rädern nirgends mitleidig angeschaut und gefragt, ob wir diese oder jene Bergstrecke wirklich bewältigen wollen – für Engländer oder Schotten ist das einfach ganz normal.

Die letzte Nacht auf Skye verbringen wir in Sligachan, das wir nach einem Tag mit Gegenwind erreichen (der Wind war uns bis dahin gnädig). Ein Hotel mit Restaurant jenseits der Straße, ein Zeltplatz diesseits, dazwischen eine Bushaltestelle. Drum herum Berge, Wasser, Weite, Nichts. Unser Abendessen haben wir bereits am Vormittag in Dunvegan gekauft, ebenso das Dosenbier. Denn in Dunvegan befindet sich neben einer ausgezeichneten Konditorei der letzte Lebensmittelladen vor Sligachan.

Auf dem Campingplatz stehen wieder viele kleine Zelte von Wanderern, Bergsteigern, Rad- und Motorradfahrern aller Altersklassen. Nur die Mücken haben offensichtlich keine eigenen Zelte. So ist es ein manchmal recht mühsamer Kampf, sie davon abzuhalten, bei uns zu übernachten. Meist sind wir Sieger geblieben.

Von Sligachan fahren wir auf einer leeren, breiten, mit EU-Geldern erbauten Straße (wie große Schilder mit der blauen Europafahne informieren) zur Fähre nach Mallaig und setzen wieder aufs Festland über (aus Skyer Sicht ist die britische Insel ja schon fast Festland). Abends werden wir mit einem senationellen Sonnenuntergang am Strand belohnt, morgens aber von strömendem Regen geweckt. Wir packen unsere Campingausrüstung nass zusammen und radeln im Regen zurück nach Mallaig, wieder auf einer breiten, leeren Straße, deren Verkehrsaufkommen von der kaum stündlich pendelnden Fähre zur Isle of Skye bestimmt wird. Denn in Mallaig ist Schluss, hier endet das Festland, hier endet die Straße, hier endet die Eisenbahn. So freuen sich die Fahrer von ungefähr 30 Autos und Motorrädern, die je Fährfahrt transportiert werden können, über die neue, breite Straße.

Von Mallaig fahren wir per Bahn über Glasgow nach Edinburgh in das uns bereits bekannt Bed & Breakfast. Am nächsten Morgen bringt uns der East-Coast-Express nach Newcastle. Dort kehren wir noch einmal in dem Café ein, in dem wir zu Beginn unserer Reise den ersten Kaffee auf britischem Boden bestellt hatten. Diesmal bestellen wir Tee, bevor wir die 15 Kilometer zum Fährhafen in Angriff nehmen. Das Schiff verlässt England pünktlich, landet auf dem Kontinent leider aber zu spät. Das ist zum Teil der Zeitverschiebung geschuldet (es gibt britische Zeit, kontinentale Zeit und Schiffszeit – das führt bei Reisenden manches Mal zu Verwirrung), zum Teil aber auch der wetterbedingten Routenveränderung des Kapitäns. Wir erreichen unseren Zug in Amsterdam trotzdem noch rechtzeitig, steigen in Hannover um und sind am selben Abend wieder in Frankfurt. Abschließendes Fazit: Schottland ist absolut empfehlenswert!

Peter Sauer