Masterplan Mobilität
Resultate hervorbringt, an denen sich künftige Magistrate zum Wohle der Bürger:innen orientieren können, weitgehend unabhängig von der parteipolitischen Couleur. Das ist jedenfalls der Sinn eines Masterplans, der für einen längeren Zeitraum als eine Wahlperiode die generelle Richtung weisen soll. Wenn vom Masterplan Mobilität die Rede ist, geht es nicht nur um Verkehrspolitik einer Kommune, sondern auch um Stadtplanung, kommunale Umweltpolitik und um die Koordination im regionalen Raum.
Warum ist der Masterplan Mobilität ein Thema?
Spätestens seit 2018 ist die Verkehrspolitik wirklich ein heißes Thema in der Stadt. Der Radentscheid sammelte 40.000 Unterschriften, am Unfallort Kurt-Schumacher-Straße wurde erstmals eine Autofahrspur für einen Radstreifen geopfert, danach kam ein grellrot eingefärbter Radstreifen nach dem anderen dazu, es setzte die Diskussion ein über eine autofreie Innenstadt, 2020 die Testphase des autofreien Mainkais – all das löste außerhalb der Fahrradcommunity nicht nur Begeisterung aus. Gerade die Wirtschaftsverbände (IHK, HWK) warfen dem Magistrat konzeptlosen Aktionismus vor und forderten unter anderem in einem offenen Brief, den Maßnahmen einen generellen Plan voranzustellen, in den alle Verkehrsträger einbezogen sind.
Die Reaktion des Magistrats: ok, einen Gesamtplan machen wir, aber neue Radwege und Radstreifen machen wir trotzdem jetzt, wir warten damit nicht jahrelang, bis alle einen Gesamtplan abgenickt haben. Für den Gesamtplan wurde ein erstes Team aus Stadt und Interessenträgern zusammengestellt, unter Einbeziehung der Wirtschaftsverbände. Frankfurt ist nicht die einzige Stadt, in der derzeit ein solcher Masterplan-Prozess stattfindet.
Europaweit gibt es dafür ein Muster mit acht Prinzipien und vier Prozessphasen, und es gibt natürlich einen englischen Begriff mit eingängiger Abkürzung dafür:
SUMP oder "Sustainable Urban Mobility Plan", zu Deutsch "Nachhaltiger urbaner Mobilitätsplan".
Die acht Prinzipien eines SUMP sind durchaus anspruchsvoll:
- Nachhaltige Mobilität unter Betrachtung verkehrlicher Wechselwirkungen mit dem Umland planen
- Über institutionelle Zuständigkeiten hinweg zusammenarbeiten
- Bürger:innen sowie Interessenträger:innen einbeziehen
- Aktuelle und zukünftige Leistungsfähigkeit des Mobilitätssystems bewerten
- Langfristige Vision und klaren Umsetzungsplan definieren
- Alle Verkehrsträger integriert entwickeln
- Monitoring und Evaluation vorbereiten
- Qualität im gesamten Planungs- und Umsetzungsprozess sichern
Die Teambildung und der inhaltliche Kickoff für den SUMP begannen Ende 2020, noch in der vorherigen Magistratsperiode unter Klaus Oesterling. Mit neuem Magistrat und dem neuen Mobilitätsdezernenten Stefan Majer bekam das Ganze eine größere Struktur, der Begriff Masterplan Mobilität wurde geprägt. Gesamtleitung des Prozesses hat jetzt Heiko Nickel, Referent im Dezernat für Mobilität.
Wie läuft der Masterplan-Prozess ab, wer sind die wichtigsten Akteure?
Es gibt einen Lenkungskreis aus Dezernatsspitze, der Abteilung Gesamtverkehrsplanung beim Amt für Straßenbau und Erschließung (ASE) sowie zwei unterstützenden Agenturen, nämlich ZEBRALOG für die Moderation und Dokumentation und PTV für die planerisch-fachliche Begleitung. Es gibt einen 25-köpfigen Fachbeirat, in dem ADFC und VCD vertreten sind, aber auch ADAC, der Deutsche Gewerkschaftsbund, IHK, Hessische Handwerkskammer (HWK), Goethe-Uni und University of Applied Sciences (ehemalige FH), Behindertenverband, Jugendring u. v. a. Dieser Fachbeirat tagte bislang dreimal, einmal in Präsenz und zweimal virtuell.
Es finden "Mobilitätsforen" statt für die Diskussionsbeteiligung breiterer Kreise der "Stakeholder", also der Interessenträger aus Stadtteilen, Verbänden, Medien, Firmen und wer auch immer sich für die Weiterentwicklung urbaner Mobilität engagieren möchte. Das erste Forum dieser Art hatte im Januar 450 (!) Teilnehmende. Da kommt eine Online-Beteiligung schon an ihre Grenzen. Eine weitere Form der Partizipation wird auch bald zum Einsatz kommen, die "Losbürger:innengruppe". Diese per Los ausgewählten Bürger:innen sehen manche Dinge vielleicht anders als die Berufs-Verkehrsexperten im Fachbeirat oder die Verkehrswende-Engagierten im Online-Forum.
Ein SUMP-Prozess hat typischerweise vier Phasen:
- Vorbereitung und Analyse
- Strategieentwicklung
- Maßnahmenplanung
- Umsetzung und Monitoring
In Frankfurt gilt die erste Phase als bewältigt. Der politische Beschluss zur SUMP-Erstellung ist auf Dezernentenebene gefasst, die Teambildung auf mehreren Ebenen ist vollzogen, in einer ersten Beiratssitzung wurden die Hauptprobleme definiert, etwa der enorme und im Städtevergleich überdurchschnittliche Pendlerdruck per Pkw; aber auch die Chancen wurden benannt, denn Mobilität ist auch ein Teil von Wirtschaftsdynamik. Als übergeordnete Ziele "gesetzt" sind: Klimaschutz, Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit.
Der SUMP-Prozess ist jetzt in der zweiten Phase, und dort, um präziser zu sein, in der Szenarienentwicklung. Im Grundsatz werden zwei Grundszenarien der Mobilität gegenüber gestellt, die alternativ stehen, sich in Detailfragen aber auch ergänzen:
- Modale Verlagerung: die Mobilitätspolitik zielt auf eine Verringerung des Anteils des MIV (Motorisierter Individualverkehr) zugunsten des Umweltverbundes (Fuß, Rad, ÖPNV)
- Elektrifizierung: die Mobilitätspolitik zielt auf eine möglichst rasche und vollständige Substituierung von fossilen Antrieben durch elektrische Motorisierung.
Natürlich wird auch bei der modalen Verlagerung elektrifiziert, und auch bei der Elektrifizierung steigt voraussichtlich der Radverkehrsanteil, schon allein wegen des Erfolgs der E-Bikes. Es muss aber in dieser Phase des SUMP-Prozesses eine Entscheidung getroffen werden, in welche grundsätzliche Richtung der Prozess weiter vorangehen soll, hin zum nächsten Schritt der Strategieentwicklung, der Leitbildprägung. Im Masterplan-Fachbeirat zeichnet sich eine deutliche Mehrheitsmeinung zugunsten des Szenarios "Modale Verlagerung" ab.
Wie geht es weiter?
Wann steht der Masterplan Mobilität?
Bei ihm laufen die Fäden des SUMP-Prozesses in Frankfurt zusammen: Heiko Nickel, Referent im Dezernat für Mobilität. Er war einer der drei Sprecher des Radentscheids.
privat
Die zweite von vier Phasen des SUMP-Prozesses, die Strategieentwicklung, ist momentan im Stadium Szenarienbildung und soll mit den weiteren Stadien Leitbild und Strategie Ende 2022 zum Resultat kommen.
Mit der dritten Phase, der Diskussion und Planung konkreter operativer Maßnahmen, wird 2023 begonnen werden. Diese Phase fordert auch von den Fachbeirat-Mitgliedern ein gewisses professionelles Know-how, was sich manche:r womöglich noch vervollständigen muss. Die Dauer dieses Prozesses ist noch offen, aber nicht endlos – angepeilt ist das erste Quartal 2024. Die Kommunikations-Agentur Zebralog moderierte bisher straff und termintreu, die Consultants von PTV konnten umfangreiches Datenmaterial zur Verfügung stellen und aufbereiten.
Am Ende der dritten Phase dieses SUMP-Prozesses steht er dann zur Beschlussfassung an: der Masterplan Mobilität für Frankfurt. Ist er beschlossen, können die am SUMP-Prozess Beteiligten sich aber immer noch nicht zufrieden zurücklehnen – es kommt noch die vierte Phase. Die im Masterplan beschlossenen Maßnahmen müssen umgesetzt werden, und dabei müssen Erfolge und Misserfolge genau evaluiert werden. Der SUMP-Prozess geht also auch nach dem Beschluss in eine Phase der Fortschreibung und möglicherweise auch der Korrektur.
Eine von vielen Datenanalysen, die die Agentur PTV im Hintergrund der Masterplan-Erstellung aufbereitet hat: die Entwicklung des Radverkehrs bei der alle 2 Jahre vorgenommenen "Stadtrandzählung" des Verkehrsdezernats.
Grafik: Stadt Frankfurt am Main
Welche Fragen stellen sich derzeit
Die bisherige Zusammensetzung der Beteiligten, insbesondere von Stadt-Seite, und auch die Themenstellung der Diskussionen, ist stark "verkehrslastig". Das liegt angesichts des Themas natürlich nahe, aber wichtig ist auch die Einbeziehung der Ressorts Stadtplanung, Bau, Umwelt, in allen Phasen des Prozesses. Es könnte sonst dazu kommen, dass wichtige und für die konkrete Umsetzung unverzichtbare Akteure den Masterplan am Ende achselzuckend in der Schublade vergilben lassen.
Im Moment können noch alle Beteiligten die Diskussionen zustimmend abnicken. Das wird aber nicht so bleiben, denn bei aller Bemühung um breiten Konsens: "allen wohl und keinem weh" wird nicht gehen. Spannend wird es in der dritten Phase werden, ob konkrete Maßnahmen im Masterplan auch von den betroffenen Interessenträgern und den für die Umsetzung zuständigen Behörden akzeptiert werden. Andernfalls würde es dann in der vierten Phase, der Umsetzung, zu Blockaden kommen. Es ist Aufgabe der politischen Führung der jeweiligen Dezernate, den Masterplan zur Richtschnur des Handelns zu machen.
Bertram Giebeler