Er hinterlässt breite rote Spuren!
Klaus Oesterling auf der ADFC-bike-night 2021
Foto-AG ADFC Frankfurt
Klaus Oesterling, Verkehrsdezernent von 2016 bis 2021, konnte mit Mut und Geschick viel für den Radverkehr
bewegen
Zu Anfang der letzten Magistratsperiode, im Frühjahr 2016, wussten wir beim ADFC noch nicht so recht, mit wem wir es zu tun bekommen würden. Die SPD war gestärkt aus der (vorletzten) Kommunalwahl hervorgegangen. Klaus Oesterling war bekannt als Urgestein der Frankfurter SPD – seit 1990 (!) Stadtverordneter, seit 2004 Fraktionsführer, scharfzüngiger Debattenredner, Spezialgebiet Verkehrspolitik, daher auch eine Generation lang SPD-Vorkämpfer im Verkehrsausschuss. Es bekam das Verkehrsressort zugesprochen, noch im Alter von 64 Jahren, quasi als Krönung seiner jahrzehntelangen Aktivität an vorderster Front der Frankfurter Kommunalpolitik.
Sein Vorgänger (und jetzt auch wieder Nachfolger) Stefan Majer (GRÜNE) war als aktiver und engagierter Alltagsradler bekannt. Klaus Oesterling galt eher als "Mann des öffentlichen Nahverkehrs", schon sein Vater war Betriebsleiter von Frankfurts Straßenbahn und U-Bahn, er brauchte keinen Führerschein und keinen Dienstwagen, aber mit dem Thema Radverkehr wurde sein Name nicht in Zusammenhang gebracht – damals, 2016.
Das hat sich geändert – heute, 2021! Zunächst einmal wurde schnell klar, dass er kein Automann ist (wie auch – ohne Führerschein) und dass es unter seiner Dezernentenschaft kein Rollback geben würde gegenüber dem, was sein Vorgänger Majer für den Radverkehr erreicht oder initiiert hatte. An einigen Entscheidungen konnte man bald erkennen, dass Oesterling auch Dinge durchsetzte, die in den für den Radverkehr wichtigen Ämtern nicht beliebt oder zumindest umstritten waren, zum Beispiel die Doppelstock-Fahrradparker, der Schutz von Radstreifen vor Falschparkern durch flexible "Klemmfix" Poller oder die Roteinfärbung von Rad- und Schutzstreifen.
Der "Quantensprung" kam dann im Sommer 2018. Während der Radentscheid gerade dabei war, zehntausende Unterschriften für mehr und bessere Radwege in Frankfurt zu sammeln, passierten im "schwarzen August" 2018 gleich vier Unfälle mit getöteten Radfahrer:innen. Einer davon, am Börneplatz, war die direkte Konsequenz einer nicht vorhandenen Radverkehrs-Infrastruktur. Die Unfallkommission empfahl dringend, dem Radverkehr hier einen Schutzraum zu geben.
Das ging aber nur, wenn dem Autoverkehr eine Spur weggenommen würde – bislang ein absolutes Tabuthema, noch dazu an einer wichtigen Passage wie dem Börneplatz. Klaus Oesterling brach das Tabu, berief sich auf die dringende Empfehlung der Unfallkommission, fackelte nicht lange mit irgendwelchen Koalitionsabsprachen, ließ die Ämter in einem bis dato nie erlebten Tempo den Kreuzungsbereich umplanen und ummarkieren auf Kosten einer Autospur und zum Schutz der Maßnahme Klemmfixe aufstellen. Die Rückstaueffekte beim Autoverkehr hielten sich in vertretbaren Grenzen, der Beifall aus der Fahrrad-Community war unüberhörbar. Diese hatte durch die 45.000 Stimmen für den Radentscheid bewiesen, dass sie keine kleine Minderheit mehr ist, sondern potenziell wahlentscheidend.
Ab dann ging es Schlag auf Schlag weiter, die ganze Strecke vom Mainufer bis zum Friedberger Platz (und in Gegenrichtung) bekam einen Radstreifen auf Kosten einer Autospur, und es wurde dabei tief in den roten Farbtopf gegriffen, nach dem Motto: wenn wir schon was für den Radverkehr tun, dann soll das auch jede:r sehen. Der "Rote Teppich" war für Frankfurts Radfahrer:innen geradezu eine Sensation. So ging es auch anderswo weiter, wenn nötig auch auf Kosten einer Autospur. Und dann kam noch der ein Jahr lang autofreie Mainkai dazu. Die zahlreichen grellroten Radstreifen sind nur der spektakulärste Bestandteil der Radverkehrsförderung seitdem, auch beim Thema Abstellanlagen – Bügel und Doppelstockanlagen – oder Falschparkervergrämung geht es zügig voran. Die wegweisende grün-weiße Beschilderung mit ihren 8.000 Schildern, noch unter Majer konzipiert, wurde mit dem nötigen Nachdruck innerhalb einer Magistratsperiode komplett realisiert. Frankfurt stieg beim ADFC-Fahrradklimatest auf einen der vordersten Ränge auf.
Nicht bei allen ADFC-Forderungen wollte Klaus Oesterling mitziehen, Pop-Up-Bikelanes wie in Berlin oder München lehnte er beispielsweise ab. Aber er hat einer Erkenntnis in Frankfurt zum politischen Durchbruch verholfen, und das mit praktischer Konsequenz: der Straßenraum muss neu und gerechter aufgeteilt werden, und zwar zugunsten des Fuß- und Radverkehrs!
Jetzt, im Ruhestand, kann er aus dem Fenster von Frankfurts U-Bahnen und Straßenbahnen zusehen, wie immer mehr Radfahrer:innen wie selbstverständlich auf den roten Radstreifen pedalieren und ihr Rad sicher in der Abstellanlage platzieren. Wir als ADFC tun unser Möglichstes dafür, dass er auch mit einem neuen Dezernenten anderer Parteifarbe Jahr für Jahr mehr davon zu sehen bekommt. Das wird unser Dank an Klaus Oesterling sein!
Bertram Giebeler